Dass Monogamie für viele die selbstverständlichste Beziehungsform ist, ist klar. Dass man sie vermehrt in Frage stellt und nicht mehr als einzig wahre Beziehungsform hinnimmt, ebenso. Das dürfte zahlreiche offensichtliche und weniger bewusste Gründe haben. So werden im Internetbeitrag von Gofeminin einige Aspekte beleuchtet. Als Erklärungen gehen mir diese aber zu wenig in die Tiefe. Zuerst einmal müsste man den Begriff «früher» dringend definieren. Meint man damit das Leben unserer Eltern oder Grosseltern, die Zeit der Aufklärung, das Mittelalter, die frühe Jäger und Sammlergemeinschaft? Fakt ist, dass sich unser westliches Leben in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert hat. Wir werden heute mit Lebenserwartungen in die Welt gesetzt, von denen frühere Generationen nur träumen durften. Wir vollzogen den Wandel von einem bäuerlichen Leben über die Arbeiter- und Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Die Religionen als Leitkultur haben an Bedeutung eingebüsst und mit unserem derzeitigen digitalen Leben haben wir uns die ganze Welt zum Dorf gemacht. Zu glauben, dass sich all dies nicht auf unsere Beziehungen und Beziehungslängen auswirken würde, wäre naiv.
Monogamie, so denke ich, ist ein Erfolgsmodel für eine stark gebundene und somit standorttreue Gesellschaft, die in relativer Sicherheit lebt, sich stark über die Gemeinschaft und Familie definiert und nicht allzu alt wird. Inwieweit sie aber für eine beschleunigte, nomadisierende und individualistische Gesellschaft taugt, die immer älter wird, mag sich jeder mit Blick auf seinen eigenen Lebensalltag selber beantworten.
Mit 20 Jahren glaubte auch ich an die eine, einzige, alles überdauernde grosse Liebe. Mit einer Frau, die wie ich die Welt erkunden und entdecken wollte. Reiner Blödsinn, wie ich schnell feststellen durfte. Denn die potenziellen Partnerinnen wollten natürlich schnell einmal heiraten, Familie, Kinder, trautes Heim, wie sie es halt selber vorgelebt bekamen. So zog ich alleine los und liebte und litt viel an den unterschiedlichsten Orten. Der Gedanke, nur zu Hause, auf wenige Wochen beschränkt eine Partnerin und Sex zu haben, machte mich definitiv nicht glücklich. Inzwischen, zwei Jahrzehnte später, sehe ich eine feste, monogame Beziehung eher als taugliche Variante für das weitere, deutlich ruhigere Leben. Und damit meine ich auch, dass Monogamie vielleicht etwas ist, was man heute nicht von Beginn an hat, aber für die zweite Lebenshälfte durchaus schön, reizvoll und spannend sein kann. Die Welt konzentriert in der Persönlichkeit eines geliebten Gegenübers, mit allen Facetten die es zu entdecken gilt.
Was wir bei allem Respekt zum Thema Monogamie nicht vergessen sollten ist aber, dass es sich über die längste Zeit ihrer "Blüte" um eine verordnete handelte. Monogamie wurde den Menschen lange Zeit aufgezwungen, obwohl wir (und die Menschen schon damals) natürlich wissen, dass es sich um einen sehr verlogenen Lebens- und Liebensform hielt und hält. Auch hielten sich Monogamie und Heirat natürlich nie und nimmer nur bei der Hand. Schliesslich standen Betrug, Verrat, Ehebruch und Hurerei (auch) unter (kirchlicher) Strafe. So lange ist das gar nicht her. Hüten wir also tunlichst unsere Freiheiten und üben uns in Toleranz!