Liebe Community,
wahrscheinlich werde ich für diesen Beitrag jetzt von euch gesteinigt, aber tzotzdem möchte ich mir mal ein paar Dinge von der Seele reden. Im Grunde genommen hoffe ich bezüglich der Resonanzen eigentlich auf gar nichts, würde mich aber dennoch über ein paar objektive Sichtweisen freuen, die mir vielleicht dabei helfen ein paar Dinge besser zu verstehen.
Das wird nun eine längere Geschichte und ich werde versuchen sie sowohl chronologisch, als auch inhaltlich auf das Wesentliche zu beschränken.
Zunächst einmal die Basics:
Meine Frau (50) und ich (44) sind seit zwanzig Jahren zusammen. Sie leidet bereits seit wir uns kennen an einer Autoimmunerkrankung (MS) und ist inzwischen ein Grad V Pflegefall. Aus diesem Grund arbeite ich überwiegend von meinem Home Office aus und kümmere mich neben der Arbeit um ihre Pflege und den Haushalt.
Nun zu meiner Geschichte:
Es begann im Jahr 2011, als ich erfuhr das meine Mutter an fortgeschrittenem BK erkrankt war. Meine Eltern waren schon immer sehr unselbständige Menschen und mir war sofort klar das nun einiges auf mich zukommen würde. Um mir Informationen zu beschaffen und zumindest ein grobes Bild vom Weg zu bekommen, der nun vor uns lag, habe ich mich in einem entsprechenden Forum angemeldet und dort einen Thread eröffnet. Es waren fast ausschließlich Frauen, die auf meine gestellten Fragen und Posts geantwortet haben. Schnell hatte ich einige hilfreiche Kontakte geknüpft und die Konversationen verlagerten sich mehr und mehr in den Bereich privater Nachrichten. Im Kern ging es zwar überwiegend noch immer um das Thema Krebs, aber es wurden auch schon die ersten persönlichen Informationen (Alter, Wohnort, Beruf, Lebensumstände etc) ausgetauscht.
Der Kontakt zu einer Frau intensivierte sich zusehends. Ihr Vater hatte ebenfalls Krebs, das letzte Stadium der Krankheit erreicht und war zum Sterben nach Hause entlassen worden. Da sie selbst Medizin studiert hatte, hatte sie seine Versorgung und Betreuung übernommen. Je näher das Ende rückte, desto stärker wurde die Trauer, die Verzweiflung und die Hilflosigkeit, die in ihren Texten lag. Hinzu kam der Umstand das sie mir mehr und mehr auch von Problemen innerhalb ihrer Ehe erzählte. Ihr Mann erwartete von ihr das sie trotz allem funktionierte und hatte nur wenig bis gar kein Verständnis für ihre Situation. Schließlich starb ihr Vater und kurze Zeit später stand auch ihre Ehe vor dem Aus. Das alles hat irgendwie meinen Beschützerinstinkt geweckt. Sie tat mir leid, ich wollte ihr helfen und wenn es auch nur durch zuhören (lesen) und antworten (schreiben) war. So chatteten wir an manchen Tagen bis in die Nacht hinein und sie redete sich vieles von der Seele. Aus heutiger Sicht betrachtet gab es zu diesem Zeitpunkt schon erste Warnzeichen, die ich damals jedoch schlicht und einfach übersehen habe und unbewusst vielleicht auch übersehen wollte. So schrieb sie zum Beispiel immer öfter wie wichtig unser Kontakt für sie sei, wie dankbar sie wäre das es mich gibt und das sie sich von meinen Worten sowohl getröstet, als auch gehalten fühlen würde. Dieses Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit und so wandelte sich unsere Unterhaltung mit der Zeit immer mehr zu einem (inhaltlich harmlosen) Flirt. Dieser Mailaustausch zog sich über annährend ein Jahr und half uns beiden die Probleme und Sorgen im realen Leben zumindest für ein paar Momente zu vergessen. Dann jedoch wurden die Intervalle zwischen den Mails immer größer. Ihre seelischen Wunden begannen zu verheilen und sie fand nach und nach einen Weg zurück in das reale Leben. Genau diesen Weg hatte ich ihr immer prophezeit, geraten und auch gewünscht. Nichts desto trotz tat es weh, sie mehr und mehr zu verlieren. Mit der Zeit waren wir uns sehr vertraut geworden und spätestens nachdem sie - ohne ein Wort des endgültigen Abschieds - komplett aus der virtuellen Welt verschwunden war, wurde mir klar das ich wohl mehr Gefühle für sie hatte, als es mir bis dato bewusst gewesen war.
Bevor ich nun weiter erzähle muss ich an dieser Stelle - weniger aus Gründen der Rechtfertigung und mehr zum besseren Verständnis - auf meine Ehe eingehen. Selbst in "normalen" Beziehungen, die nicht durch Krankheit und/oder eine Pflegesituation belastet sind, kann es passieren das Gefühle auf der Strecke bleiben bzw. sich mit der Zeit verändern. In meinem Fall stand ich darüber hinaus noch vor der Wahl meine Frau aufgrund ihrer zunehmenden Hilfsbedürftigkeit - auch gegen ihren ausdrücklichen Willen - in ein Pflegeheim zu stecken, oder aber ihr im Rahmen der gegebenen Umstände ein noch halbwegs autarkes Leben zu ermöglichen und sie zuhause zu versorgen. Sprich - ich musste mich entscheiden ob ich Ehemann oder Freund und Pfleger sein wollte. Beide Rollen ließen und lassen sich - zumindest für mich und in Anbetracht der Situation - nicht miteinander kombinieren. So oder so, der Preis für meine Entscheidung war nichts geringeres als ein Teil meines eigenen Lebens. Hätte ich sie in ein Heim gesteckt, hätte ich mich wie ein Verräter gefühlt, der sich vom Acker macht sobald es Probleme gibt. Würde ich mich zuhause um sie kümmern, würde ich fortan leben müssen wie ein verheirateter Single. Ich entschied mich für Letzteres und es mag jetzt ein wenig egoistisch klingen, aber auch ich habe Bedürfnisse. Und damit meine ich jetzt ausdrücklich nicht Sex. Vielmehr sind es die kleinen Dinge, die mir unwahrscheinlich fehlen. Ein Spaziergang zu zweit, Hand in Hand und nicht als der Mann, der die arme kranke Frau im Rollstuhl schiebt. Als ein solches Paar wollten weder meine Frau noch ich jemals gesehen werden. Hinzu kam der Umstand das wir aufgrund der Pflege-, Wohn- und Arbeitssituation 24/7 zusammen waren und kaum noch Gesprächsstoff hatten, der über diese Themen hinausging.
Und so kam es wie es wohl kommen musste. Eines Tages tauchte eine neue Userin in dem Selbsthilfeforum auf, indem ich noch immer aktiv war. Auch ihre Mutter war an BK erkrankt und sie hatte im Grunde genommen die selben Fragen und Ängste, wie ich sie rund ein Jahr zuvor gehabt hatte. Wir kamen ins Gespräch und die Ereignisse wiederholten sich. Auch sie hatte - wie schon ihre "Vorgängerin" - Probleme in der Ehe und noch bevor ich mich versah steckte ich wieder mitten in einem virtuellen Flirt. Wir redeten über Gott und die Welt, träumten gemeinsam von was-wäre-wenn-Szenarien und blendeten auf diese Art die uns umgebende Realität ein Stück weit aus. Und ja, auch das Thema Erotik spielte irgendwann eine Rolle. Nach einiger Zeit standen wir kurz davor uns in konspirativer Weise auf halber Strecke zwischen unseren Wohnorten zu treffen. Dazu ist es aber nie (leider oder Gott sei Dank, ich weiß es bis heute nicht) gekommen. Wenige Tage vor unserem Treffen erhielt ich eine lange Mail von ihr. Sie schrieb von dem schlechten Gewissen, das sie ihrem Mann gegenüber hätte, obwohl wir uns bislang nur geschrieben hatten. Auch sei ihr Verhalten mir gegenüber nicht fair, da sie glaube mir nicht das geben zu können, was mir wirklich fehlt. Schließlich bat sie mich darum unseren Kontakt wieder auf ein rein freundschaftliches Level zurückzufahren und das Thema Affäre - real und virtuell - zukünftig auszuklammern. Ich müsste lügen wenn ich sagen würde das mir dieser Schritt leicht gefallen ist, aber ich habe zugestimmt. Und tatsächlich haben wir es geschafft, sind bis heute befreundet und haben immer noch gelegentlich via Mail Kontakt zueinander.
Auch wenn diese zweite - ich will es mal online Affäre nennen - nicht mit der ersten vergleichbar war, hinterließ ihr Ende dennoch eine ähnlich schmerzende Lücke. Nachdem meine ersten Begegnungen dieser Art eher zufällig zustande gekommen waren, begab ich mich nun aktiv in diversen Foren auf die Suche. Schließlich wurde ich fündig und lernte eine Frau kennen, die gezielt nach einer rein virtuellen Beziehung suchte. Sie hatte an sich selbst eine devote Ader entdeckt, mit der ihr Mann jedoch nichts anzufangen wusste. Nun wollte sie diese Neigung ergründen, ohne jedoch real untreu zu werden. So wurde sie meine Online-sub. Wir schrieben uns täglich mehrere Mails, in denen es schon bald um mehr als nur um Dominanz und Devotion ging. Es entstand tatsächlich eine Art von partnerschaftlicher Beziehung und unsere Themen gingen weit über alle sexuellen Aspekte hinaus. Dieser Kontakt währte über annährend zwei Jahre, bis ich ihn aufgrund des sich abzeichnenden Todes meiner Mutter beendete. Neben zwei zu versorgenden Pflegefällen, meiner Arbeit und dem Haushalt hatte ich weder die Zeit, noch den Kopf um diesen Kontakt weiterzuführen.
Seither sind rund drei Jahre vergangen und die Erinnerungen an diese besonderen Beziehungen sind nie verblasst. Im Gegenteil, sie fehlen mir und wenn es sich ergäbe würde ich es wieder tun. Für den einen oder anderen mag das nun seltsam oder gar absurd klingen, aber ich glaube sogar das diese virtuellen Affären meine Ehe gerettet haben. Sie haben mir in schweren Lebenslagen die Kraft gegeben, die ich brauchte um trotz allem irgendwie weiter zu machen.
So, nun könnt ihr mich gerne zerreißen, teeren und federn oder als ein völliges moralisches Rektum betrachten.