Auch wenn du mir's nicht glaubst - du bist nicht in diesen Mann verliebt. Sondern in eine Projektion, die du dir aus seinem Geschreibe selbst erschaffen hast. Die stimmt natürlich ein bisschen mit der realen Person überein, weil das, was er dir schreibt, ja irgendwas mit seiner Persönlichkeit zu tun hat - aber dieses Bisschen solltest du nicht überbewerten. Schon gar nicht, wenn ihr nicht mal skypt oder ähnliches, sondern wirklich nur schreibt. Du hast dir ein Bild von ihm erschaffen, das mehr mit deinen eigenen Wünschen und Idealvorstellungen zu tun hat als mit der realen Person, mit der du in Kontakt stehst. Du kennst ihn nicht wirklich, du weißt nicht, wie er sich bewegt, wie er riecht, oder was er für individuelle Macken und Gewohnheiten hat - alles Dinge, die entweder unmöglich oder viel zu banal sind, um sie mitzuteilen, die dich aber möglicherweise bei nem realen Treffen im ersten Augenblick abstoßen würden. (Und ihm geht's mit dir übrigens genauso.)
Ich weiß, du denkst jetzt "Die hat gut schreiben, ich weiß, dass es bei mir komplett anders ist, unser Kontakt geht viel tiefer als solche Oberflächlichkeiten" - aber ich bin jetzt über 20 Jahre lang im Netz unterwegs und hab solche Geschichten speziell in der Frühzeit (als Videochat & Co. technisch noch gar nicht erschwinglich waren) oft genug mitbekommen. ;) Da gab es oft nen sehr intensiven und intimen Schriftkontakt, und sobald man sich real traf, fiel der eine oder andere aus allen Wolken. Die tragischsten Geschichten sind oft die, wo man eine Weile versucht hat, das Ganze doch noch real passend zu machen, weil ja online alles so schön angefangen hatte. Deshalb bin ich immer dafür, solche Internetkontakte möglichst bald auf den Boden der persönlichen Realität zu holen, also sich zu treffen, damit man gar nicht erst großartig unrealistische Erwartungen aufbauen kann.
Versteh mich nicht falsch, ich sag nicht, dass eine reale Liebe unmöglich aus so einer Internetbekanntschaft entstehen kann. Aber dafür sind erstens etliche reale Treffen nötig, um sich auch mal wirklich im realen Alltag kennenzulernen und nicht in dieser künstlich erschaffenen Zweier-Situation (man sagt nicht umsonst: Wenn du wissen willst, wie dein Date in einer Beziehung in fünf Jahren mit dir umgehen würde, dann guck dir an, wie er im Restaurant mit dem Kellner redet - solche Gelegenheiten hast du ja gar nicht mit ihm), und zweitens, wenn es klappt, dann ist das sowieso nochmal fast wie ein neues Kennenlernen.
Und damit sind wir beim Knackpunkt deiner Geschichte - reale Treffen scheinen auf absehbare Zeit ja gar nicht möglich zu sein. Wohnt ihr auf verschiedenen Kontinenten, oder woher kommt das? Traust du dich gar nicht (mehr), ihn auf ein Treffen festzunageln, oder hast du das Gefühl, er weicht dir aus, wenn du danach fragst?
lg
cefeu