Ganz normal... + Text
Liebe Cin,
das, was Du momentan erlebst, ist das Verwandeln von Verliebtheit in Liebe. Was an sich ganz normal und schön ist. Nur scheiden sich die Geister: Die einen trauern dem Verliebtsein hinterher, die anderen sind vielleicht sogar heilfroh, dass dieser Ausnahmezustand endlich vorbei ist und das Ganze die solide Phase erreicht hat. Dazwischen gibt es natürlich zig Variationen, damit umzugehen.
Dem einen fällt's leichter, dem anderen schwerer...
Aber es ist nun mal einfach so. Man muss es akzeptieren - oder sich nach ein paar Jahren immer einen neuen Partner suchen. Serielle Monogamie. Meine Tante hat das so gelebt. Sie war dadurch quasi immer verliebt - und jetzt ist sie mit 50 kinderlos bei einem unmöglichen Typen hängengeblieben...
Habe hierzu noch einen interessanten Text gefunden:
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Im Mai 1822 fragt ein Freund den fast 73-jährigen Goethe, wie es ihm gehe. Schlecht, ist seine Antwort, denn weder bin ich verliebt, noch ist jemand in mich verliebt. Verliebt zu sein war für ihn ein Lebenselixier, ein Stimulans, ein Vitamin. Ist es das nicht für uns auch? Dieses Gefühl der Faszination durch einen Menschen, das Wellen der Erregung durch Körper und vor allem Seele gleiten lässt, den Puls steigert, den Appetit und den Schlaf raubt? Werden die Gefühle erwidert, steigert sich die Verliebtheit in selige Höhen des Glücks. Dann werden wir aufgeschlossen für noch weitere Dimensionen der Welt, für alle Reize des Augenblicks, der Natur, der Kunst.
Aber die Verliebtheit bleibt nicht ewig. Im Rückblick und von der Lebenshöhe aus gesehen, ist sie eine kurzlebige, flüchtige Verfassung. Entweder verliert man sich aus den Augen und verliebt sich irgendwann wieder in ein anderes Objekt so herzlos sachlich der Jargon der Psychoanalyse. Oder die beiden finden sich, und der Alltag fordert zunehmend sein Recht.
Die erste Alternative, die immer neue Verliebtheit, kann beleben bis ins hohe Alter, kann süchtig machen auf den Kick der immer neuen Begegnung. Ich spreche nicht von dem notorischen Herzensbrecher, den es auch gibt. Ich meine den sanften Abenteurer, der in die Verliebtheit verliebt ist und sich darum auch in andre immer wieder neu verliebt. Mit jedem neuen Blitzschlag ins Herz blüht er sichtlich auf. Wie schön wäre es, wenn sich dieser Zustand erhalten ließe, wenn an die Stelle der feurigen Erregung mit der Zeit die wärmende Glut einer dauerhaften Liebe treten könnte! Was ist der Unterschied?
Während Verliebtheit jäh ausschlägt, wächst Liebe langsam und durchläuft viele Stadien. Sie vervollkommnet sich und braucht im Grunde ein ganzes Leben, um an ihr Ziel zu kommen. Das Ziel der Liebe ist die Vereinigung mit dem anderen in Glück und Harmonie. Verliebtheit dagegen ist nur die Widerspiegelung eigener Wünsche im Bild eines anderen. Real wird er gar nicht wahrgenommen, aber er zieht die Sehnsüchte auf sich, und der Verliebte taumelt selig. Ein unendlich schöner Zustand, der Geist und Seele weitet und zu nie gekannten Phantasien und Gefühlen befähigt.
Aber Verliebtheit hält nie lange an. Entweder findet man sich auf dem harten Boden der Realität wieder mit der Erkenntnis, dass auch er nur ein Mensch ist mit Fehlern und Schwächen. Oder Verliebtheit verwandelt sich allmählich in Liebe, in beständig-beglückende Bindung. Diese Art Liebe ist realistisch. Sie akzeptiert den anderen, empfindet ihn dankbar als die Ergänzung des Ich, das sich im Du überschreitet. Sie äußert sich darin, dass man gern in der Nähe des anderen ist, dass einem die Sorge für ihn nicht Last, sondern Freude bedeutet, dass man zuhört, nimmt und hingibt, ohne aufzurechnen, dass man ohne einander nicht leben möchte.
Viele Ehen sind nicht das Ergebnis eines behutsamen Annäherungsprozesses zweier Partner, sondern einer Art hormonellen Vollrausches. Gerade junge Leute sind in einer aufgewühlten Situation, wenn sie sich verlieben, und von dem ersehnten Partner hingerissen. Natürlich wäre es nicht gut, sich in dieser Verfassung für immer zu binden. Wenn mein Eindruck nicht trügt, tut das Gros der jungen Leute dies auch gar nicht. Im Gegenteil: Sie gehen heute meist nüchtern an die Sache heran. Sie wissen, dass die Chemie stimmen muss, Freizeitinteressen, die Auffassungen über Geldausgeben, Kinderwunsch... Mag die Romantik dabei auf der Strecke bleiben die Realistik hat viel für sich.
Vor allem aber bestimmen unbewusste psychodynamische Kräfte die Magnetismen unserer Partnerwahl. Wir tragen ein Suchbild in uns, eine Vorstellung davon, wie der richtige Mann beziehungsweise die passende Frau beschaffen sein sollten.
Für Biologen stellt sich das Ganze sehr einfach dar: Gesucht wird der Mann, der stark und vital ist und der der Frau Schutz und gesunde Nachkommen verspricht. Umgekehrt sucht der Mann die Frau, die ihm die beste Wahl im Hinblick auf Arterhaltung und Brutpflege zu sein scheint. So wählen Frauen ihren Partner eher nach dem Charakter und dem gesellschaftlichen Status und Männer nach der erotischen Attraktivität und den Sexualsignalen, die Gebärfähigkeit versprechen.
Das innere Suchbild verleitet aber oft zur Illusion. Und das äußere Klischee sagt so gut wie nichts über die innere Kompatibilität aus, also darüber, wie die beiden im Alltag zusammenstimmen. Es sagt wenig über die Interessen und Überzeugungen, die Erfahrungen und die Lebenspraxis, über die Fähigkeit zu Liebe und Rücksichtnahme, zu Fürsorge und Entgegenkommen Eigenschaften also, die im Alltag eines Paares eine große Rolle spielen.
Wir neigen dazu, in einem Zustand der Entbehrung das zu idealisieren, was wir nicht haben. Wenn wir es dann haben, sehen wir die Kehrseite der Realität und könnten schier verzweifeln, weil wir in die Falle getappt sind. Erst wenn es gelingt, sich mit der Realität zu versöhnen, bestehen Chancen für eine ausgewogene Kommunikation, eine realistische Partnerschaft. Ein Weiser hat einmal geraten: Begehre nie ein Glück zu groß und nie ein Weib zu schön. Es könnte Gott in seinem Zorn dir beides zugestehn.
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