Das Problem ist...
... schlicht und einfach Folgendes: Man müsste sich mal vorstellen, aus Deutschland, aus dem tiefsten, erzkatholischen Bayern (nur so als Beispiel, sicherlich gibts solche Gegenden auch in den anderen Regionen), aus winzigen Dörfchen, in denen Religion noch eine superwichtige Rolle spielt, hätten sich Menschen - Familien - in den 50er Jahren entschlossen, in das moderne Istanbul auszuwandern. Was würde passieren? Mit ihren konservativen Sitten und Gebräuchen würden sie erst mal überall Aufsehen erregen (merkwürdige Tänze, merkwürdige Kleidung wie Trachtenhose und Dirndl...), sie selbst würden nichts mit den Türken zu tun haben wollen, weil die ihnen zu "modern" sind, die Türken würden nichts von den eingewanderten Deutschen halten, weil die ihnen seltsam zurückgeblieben vorkämen... Und wichtiger: Die eingewanderten Deutschen in Trachtenhose und Dirndl würden ab nun für "die Deutschen" stehen! Obwohl "die Deutschen" bzw. die Mehrheit der Deutschen eigentlich ganz anders aussieht, würde in der Türkei Deutschland gleichgesetzt mit erzkatholischen, komisch gekleideten Menschen... Zumal immer mehr hinzukommen, es enstehen eigene Viertel, der Zusammenhalt unter den Eingewanderten würde stärker, man kontrolliert sich gegenseitig, man wünscht nicht, auch "weil Gott es so will", dass sich die Kinder der Eingewanderten mit den Kindern der modernen, aber gottlosen Türken "vermischen"... Es kommt zu Konflikten, jemand fängt an, doch um Verständnis für die Eingewanderten und ihre hinterwäldlerischen Sitten und Bräuche zu werben, weil man doch jedes Volk so hinnehmen muss, wie es ist. Ohne dabei zu berücksichtigen, dass die Entwicklung der Deutschen schon längst passiert ist, dass Deutschland ein modernes Land ist und die "Hinterwäldler" in ihrem eigenen Land schon längst sich hätten weiter anpassen müssen...Aber in der Türkei können sie ihre Sitten genauso ausleben wie "früher"...Ja sie können sogar türkische Einheimische bekehren, insbesondere Frauen, viele der türkischen Einheimischen laufen ab jetzt auch im Dirndl rum und beten zur Jungfrau Maria, teilweise sind sie sogar strenger als die Deutschen selbst... Etc etc. Der Rest ist Geschichte.
Was ich damit sagen will: Das ist umgekehrt die Geschichte eines Großteils der eingewanderten Türken hier in Deutschland, die maßgeblich das Bild der Türken geprägt haben - Kopftuchfrauen und schnauzbärtige Patriarchen in Teestuben, die Mädchen weggesperrt, die Jungs kleine pöbelnde Machos. Dass es in der Türkei selbst ganz anders aussieht und dass sich die Türken in der Türkei wundern, dass man die ausgewanderten Hinterwäldler in Deutschland einfach mal "so machen lässt", wird hier gar nicht zur Kenntnis genommen.
Wie in Deutschland auch gibt es in der Türkei "zurückgebliebene" Gegenden. Vielleicht sind es in Deutschland nicht mehr so viele, vor 50 Jahren aber war es sicherlich auch in Deutschland noch so, dass es viele kleine Dörfer gab, in denen streng nach kirchlichen Regeln gelebt wurde, die Tochter verheiratet wurde mit jemandem, der den Eltern gepasst hat und nicht ihr, dass darauf geachtet wurde, dass sie als Jungfrau in die Ehe ging, dass die Nachbarn alles über jeden wussten, etc bla. Auch da gabs sicherlich genug Tragödien "im Namen des Herrn". Und wie immer: Frauen waren die Hauptleidtragenden.
In der Türkei findet man sicherlich heute noch etliche Gegenden mehr, in denen Menschen abgeschieden leben und nach ihren eigenen religiösen Richtlinien leben - und die Frauen sind auch hier die Leidtragenden. Keine Bildung, kein Selbstbewusstsein, Arbeit, Heirat, Kinder kriegen, Arbeit, Arbeit, sterben. Und dabei immer den Blick darauf, was die Familie/Freunde/Bekannte/Nachbarn zu allem sagen könnten, was man tut.
Von daher: Wenn die Threadschreiberin bei EINER EINZIGEN Familie zu Besuch war, so ist das mit Sicherheit keine repräsentative Zahl. Und zum anderen wird mit Sicherheit keine Frau einem Gast ihr Leid klagen, auch wenn dieser Gast dieselben Wurzeln hat (!), sondern - mit Blick auf Familie und Nachbarn - so tun, als sei alles in bester Ordnung! Dass es so ist, habe ich selbst in meiner Arbeit mit Frauen mit Migrationshintergrund erfahren. Nicht nachdem ich einmal mit ihnen gesprochen habe, sondern ansatzweise wurde darüber geredet, nachdem man sich schon über ein halbes Jahr kannte. Unglück in der Familie ist kein Thema, das mit Fremden gern besprochen wird. Und nur, weil keiner drüber spricht, heißt es nicht, dass es das nicht gibt.
LG