lorrin_13656432Liebe Susanne,
Vermutlich hast du außer hier im Forum schon mit anderen Müttern Kontakt aufgenommen. Bist du in einer Angehörigen-Selbsthilfegruppe aktiv? Falls nicht, ziehe es in Erwägung.
Der Austausch mit Angehörigen kann dir helfen, damit zurechtzukommen, du wirst im Gegensatz zu den meisten Eltern mit „normalen“ Kindern genau verstanden und erhältst viele hilfreiche Tipps von Menschen, die dasselbe mit ihren Kindern erleben und Erfahrungen haben.
Ich bin selbst von Asperger betroffen und schreibe dir mal (gaaaanz viel, irgendwie kann ich mich nur sehr kurz oder sehr lang fassen, ein Mittelding gelingt mir selten) aus der Perspektive meiner eigenen Erfahrungen viele Tipps auf, die mir selbst stark geholfen haben.
Wenn dir der Riesentext zu lang ist, kann ich auch nochmal eine Zusammenfassung in Stichpunkten notieren, bzw. eine Liste gesammelter Tipps, die du auch ausdrucken und im Alltag verwenden kannst.
Doch erstmal zu deinem letzten Absatz:
Wofür kriegt dein Sohn denn Antidepressiva oder gar Neuroleptika?!? Letzteres sind Medikamente gegen Psychosen wie Schizophrenie - und ausgesprochen schädlich!
Die lassen buchstäblich das Gehirn schrumpfen, um bis zu 10% bei langfristiger Einnahme! Sowas sollte wenn überhaupt nur in Fällen angewendet werden, wo andere Abhilfe nicht möglich ist (d.h. bei schwerstpsychotischen Patienten - und davon lese ich hier nix) und dann auch nur so kurz und so niedrig dosiert wie möglich. Aber Psychiater machen regelhaft genau das Gegenteil.
Gut, dass er den Dreck abdosiert. Ich bin echt fassungslos, sowas macht mich richtig sauer!
Was ist denn das bitte wieder für ein inkompetenter Idiot?! Asperger ist medikamentös sowieso kaum sinnvoll zu behandeln, bestenfalls einige Nebenerscheinungen.
Was dein Sohn braucht, ist idealerweise Kontakt zu seinesgleichen. Und nichtautistischen Menschen, die offen und wertschätzend mit ihm umgehen.
Er könnte z.B. Vereinen oder Clubs beitreten, die seinen speziellen Interessen entsprechen, oder im Internet Leute kennenlernen, die sie teilen. Auch Frauen.
Geht er denn öfter raus oder ist er eher ein Stubenhocker? Und fühlt er sich selber wohl damit?
Wichtig ist es, als Mutter das, was man selber für das richtige und gesunde Maß an sozialen Umgang hält, nicht mit dem zu verwechseln, was der Sohn tatsächlich will oder braucht und ihm einen höheren Bedarf einzureden, wo keiner ist (oder jedenfalls nicht so stark) und ihm dabei jedesmal das flaue Gefühl zu vermitteln, das mit ihm was nicht stimmt.
Er ist eben einfach nur anders, nicht krank. Das musst du akzeptieren - und er selbst auch.
Mir wurde immer eingeredet, ich müsse mehr ausgehen, mehr unter Leuten sein, mehr Freunde haben bla bla bla
Ständig lag meine Familie, besonders meine Mutter, mir damit in den Ohren. Ich habe es gehasst und mich extrem unwohl bei diesen Predigten gefühlt.
Vor allem hat es rein gar nichts bewirkt und mir im Gegensatz zu geringen sozialen Aktivitäten tatsächlich seelisch geschadet.
So hatte ich immer das Gefühl, dass mit mir etwas grundverkehrt ist. Mein ganzes Leben lang wurde mir das eingeimpft.
Das führt nur dazu, dass man sich noch mehr verkrampft und noch schwieriger mit anderen Menschen in Kontakt kommt. Man steht unter Druck, fängt an, ständig darüber nachzudenken, ob man als anders oder seltsam wahrgenommen wird.
Es ist schwierig und anstrengend genug für deinen Sohn, also mach das bitte, bitte nicht, auch wenn du dir Sorgen machst.
Für andere ist es oft schwer nachvollziehbar, aber Autisten sind gern ein Gutteil ihrer Zeit allein und ungestört und gehen ihren bevorzugten Aktivitäten, Interessen und Routinen nach. Für Autisten ist das völlig normal.
Wenn sie gerade Umgang mit anderen wollen, suchen sie ihn genau wie alle anderen auch. Dafür benötigen sie freilich Menschen, die sie in ihrer Andersartigkeit akzeptieren und nicht unter ihre Vorstellungen verbiegen wollen.
Es lohnt sich, geduldig nach solchen Menschen zu suchen, weil es für das seelische Wohlbefinden der Betroffenen einfach entschieden besser ist.
Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich nunmal nicht wie alle anderen bin und der Umgang mit Leuten, die damit nicht zurechtkommen, einfach zu anstrengend, nervig und langweilig ist, als dass sich die Mühe lohnen würde.
Dass ich zumeist gar kein intensives Kontaktbedürnis habe und mich die meiste Zeit auch allein sehr wohl fühle.
Dass ich nicht mehr Umgang mit anderen Menschen pflegen muss, als ich selber möchte.
Doch wenn man ihn pflegen will oder muss, was dann?
Soziale Fertigkeiten lassen sich trainieren. Asperger-Autisten sind in aller Regel gute Beobachter.
Sie können nicht intuitiv bestimmte Dinge tun, die für die meisten Menschen selbstverständlich sind (Mimik & Gestik entschlüsseln, Ironie verstehen, Redewendungen und rhetorische Fragen nicht wörtlich nehmen, Blickkontakt halten etc.) aber sie können es üben und einen intellektuellen, systematischen Zugang dazu erlangen, indem sie sich soziale Verhaltensregeln einprägen.
Ich konnte als Kind meist keinen Blickkontakt halten, weil ich mich sehr unbehaglich dabei fühlte. Wenn man mich ständig dazu ermahnte und „Schau mir gefälligst in die Augen, wenn du mit mir redest!“ entgegenblaffte, wurde es nur schlimmer. Aber ich habe es gelernt und kann heute sicher vor Leuten reden.
Mimik und Gestik stellten für mich früher ein Buch mit sieben Siegeln dar. Ich verstand regelmäßig nicht, was Leute von mir wollten oder warum sie wütend auf mich waren. Gelegentlich kommt das noch vor, aber es ist sehr selten geworden. Teilweise wundere ich mich, wie andere gewisse Dinge nicht erkennen, die für mich so offenkundig sind. Ich hatte ein solches Verlangen, dieses quälende Defizit auszugleichen, dass ich viele „Gesunde“ darin überflügelt habe.
Mein künstlerisches Talent hat mir einen Zugang dazu eröffnet. Um es weiterzuentwickeln, musste ich geduldig beobachten und Ausdrücke studieren.
Dazu muss man kein begabter Zeichner oder Maler sein. Es geht um die Wirkung, und die hilft auch, wenn man nur so zum Spaß zeichnet und über keine nennenswerte Begabung dazu verfügt.
Heute sind Portraits meine besondere Stärke. Portraits müssen bekanntlich das lebendige, intellektuell nicht erfassbare Wesen eines Menschen einfangen, wenn sie gut sein sollen. Und ich bin ziemlich gut. Es gibt viel talentiertere Künstler als mich, aber ich treffe Menschen gut.
Häufig erzählte ich weitschweifig irgendetwas - gut, die Neigung habe ich noch heute, wie du siehst, das liegt bei uns wohl auch in der Familie - und merkte nicht, wenn das Interesse meines Gegenübers nachließ, er meinen Gedankensprüngen nicht folgen konnte oder ich ihn überforderte.
Man kann Anzeichen von Langeweile und Desinteresse lernen und merken, lernen, strukturierter zu reden und den geistigen Horizont anderer abschätzen lernen, sowie sich eine schlichtere Ausdrucksweise aneignen - falls dein Sohn auch hochintelligent ist und Schwierigkeiten damit hat, sich allgemeinverständlich auszudrücken. Auch etwas, das für mich in der Kindheit ein Ding der Unmöglichkeit schien. Erwachsene konnten mir regelmäßig nicht folgen, geschweige denn andere Kinder.
Heute kann ich mich mit Menschen aller sozialen Schichten und Verstandeskräfte auf Augenhöhe verständigen.
Die Beschäftigung mit hoher Literatur und Theater kann helfen, Emotionen und Motive von Menschen zu verstehen, desgleichen Bücher, die sie genau erklären und entschlüsseln.
Da fällt mir etwas ein: er sollte den Roman „Der geniale Mr Fletcher“ (im Original „The Contotionist‘s Handbook“) von Craig Clevenger lesen. Für Autisten ist es eine Offenbarung, finde ich.
Und Erich Fromm! Vor allem „Die Kunst des Liebens“ und „Anatomie der menschlichen Destruktivität“ - brillante Werke.
Alfred Adlers „Menschenkenntnis“ ist auch hilfreich.
Viel wichtiger ist natürlich die aktive Einübung im Umgang mit anderen, aber zunächst einmal muss man sich überhaupt das notwendige Rüstzeug aneignen, was einem Autisten nunmal nicht in die Wiege gelegt ist.
Wir benötigen einen anderen Zugang zu diesen Dingen.
Der ist auch für jeden Autisten anders, so wie jeder Autist ein einzigartiger Mensch ist. Abhängig von Interessen, Defiziten und persönlichen Wünschen.
Schauspielunterricht kann generell sehr hilfreich sein, auch um die Eigenwahrnehmung zu schulen und die motorische Kontrolle und Geschicklichkeit zu verbessern.
Das absolut Wichtigste ist aber aus meiner Sicht als Betroffene: ein wertschätzender, akzeptierender, lösungsorientierter Umgang, sowie die Einsicht, dass ein Autist nicht sein Autismus ist, kein Bündel von Problemen und Defiziten, sondern ein Mensch mit individuellen Stärken, Interessen, Wünschen, Zielen und Hoffnungen. Genau wie alle anderen, nur eben ein bisschen wunderlich.
Aber ich sehe nichts Schlimmes daran. Meine Kindheit war grauenvoll - aber das lag vor allem daran, wie andere mit mir umgesprungen sind - doch jetzt als Erwachsene würde ich nicht anders sein wollen, auch nicht „normal“ - was auch immer das sein soll.
Ich bin gerne so wie ich bin.
Ich könnte noch viel mehr Ratschläge aufschreiben. Dafür wären detailliertere Infos über die individuellen Probleme deines Sohnes hilfreich.
Außerdem, nimm es mir nicht übel, aber hier lese ich nur deine Sichtweise.
Wie steht denn dein Sohn selbst dazu? Das wäre für mich die wesentliche Frage.
Hast du mit ihm darüber geredet, was er sich wünscht, wovor er sich fürchtet, was er selbst erreichen will, in welchen Situationen er sich wohl bzw. unwohl fühlt und welche Lösungen er für seine Probleme sieht?
Leider konnte ich nie offen mit meiner Mutter über all diese Dinge reden, weil sie immer versucht hat, mich in eine Richtung zu schieben und meine eigene Sicht nicht zählte, außer sie passte zu ihrer.
Wie offen redet er mit dir? Sei ehrlich, hast du ihm die erwähnten Einlassungen „aus der Nase ziehen müssen“ oder gar vor lauter Sorge bei ihm „herumgeschnüffelt“ oder hat er es dir aus freien Stücken alles erzählt?
Sogar wenn er scheinbar frei mit dir redet, bedeutet das keineswegs, du wüsstest über alles Bescheid.
Zum einen tragen die meisten Autisten ihr Herz nicht gerade auf der Zunge (außer bei unpassenden, andere in Verlegenheit bringenden Bemerkungen natürlich :razz:).
Zum anderen wird er womöglich vieles nicht ansprechen, etwa
- weil er keine Ahnung hat, wie er es ausdrücken soll,
- weil ihm der tiefere Zugang zu eigenen Gefühlen und die Fähigkeit, sie zu benennen und zu entschlüsseln vielleicht fehlt (hier hat mir kreatives Schreiben IMMENS geholfen, früher konnte ich mir über eigene Gefühle überhaupt erst klarwerden, indem ich sie über meine Figuren ausdrückte)
- weil er deine Reaktionen schlecht einschätzen kann und die Tragweite derartiger Offenbarungen nicht überblicken kann, sich aber an negative Folgen in vergleichbaren Situationen erinnert,
- weil er denkt, du hättest lieber einen normalen Sohn (wenn du die Wahl hättest, ist es ja auch so, oder?)
- weil er nicht noch mehr Medikamente will (wie gesagt, die gegenwärtige Medikation ist totaler Müll, verständlich dass er sich damit sehr unwohl fühlt);
- und natürlich nicht zuletzt, weil er nicht will, dass du dir noch mehr Sorgen machst.
Keine erschöpfende Aufzählung und es muss natürlich nicht alles auch auf deinen Sohn zutreffen.
Es ist vital notwendig, ihm das Gefühl zu vermitteln, dass, wenn schon nicht andere, dann zumindest du ihn vorbehaltlos als den Menschen annimmst, der er nunmal ist und er mit dir immer über alles reden kann.
Ihn von der Sichtweise abzubringen, er sei eine Ansammlung von Defiziten.
Seine Stärken betonen und ihn ermutigen, davon Gebrauch zu machen.
Autisten können ihre „special interests“ mit immenser Energie verfolgen und herausragende Fähigkeiten auf diesem Gebiet entwickeln.
Hat er schon ein besonderes Talent an sich entdeckt? Oder mehrere? Interessiert er sich für irgendetwas spezielles, das auch praktisch und beruflich nutzbar ist?
Welche Pläne hat er auf dem Gebiet?
Im IT-Bereich (ein Klischee, das natürlich bei weitem nicht auf jeden Autisten zutrifft) gibt es z.B. die Firma Auticon, die ausschließlich Autisten einstellt, günstige Arbeitsbedingungen für sie schafft und Coaching bietet.
Nun endlich zum Thema Dates:
Ist mangelnde romantische und sexuelle Erfahrung für ihn selbst ein vordringliches Problem oder machst du dir vor allem Sorgen, weil er noch keine Freundin hatte und sagst ihm, dass er jemanden kennenlernen sollte?
Er muss ja nicht gleich eine Frau für eine feste Beziehung suchen. Davon rate ich für den Anfang sogar ab, weil es zu viele Fettnäpfchen gibt, in die er treten kann und wenn er an eine Blöde gerät, die völlig falsch reagiert, kann das für lange Zeit Narben bei ihm hinterlassen.
Besser er sammelt erstmal etwas Erfahrung mit Mädels, an denen er nicht emotional hängt.
Er könnte also erstmal mit einem Mädchen schlafen, das einfach nur zum Vergnügen mit ihm zusammen ist bzw. ebenfalls Erfahrungen sammeln möchte.
Hier gibt es im wesentlichen zwei Herangehensweisen, die in Betracht kommen, die von seinen sozialen Fertigkeiten und auch etwas vom Glück abhängen.
(Es mag Nichtautisten befremdlich erscheinen, so „taktisch“ an die Sache heranzugehen, aber ihm bietet eine durchdachte, geplante Vorgehensweise wahrscheinlich ein gewisses Maß an Sicherheit.)
Der eine Weg wäre:
Wenn die Erste selber noch unerfahren ist (aber am besten auch keine Jungfrau mehr), dann muss er keine solchen Komplexe haben, weil er noch Jungfrau ist und noch nicht viel kann.
Dabei lernt er andererseits natürlich nicht viel, aber es geht ja für den Anfang auch nur um die Überwindung von Angst und Minderwertigkeitsgefühlen; also sollte er später noch weitere, etwas erfahrenere Mädchen treffen, um selbst erfahrener zu werden.
Der zweite Weg:
Ideal wäre natürlich gleich beim ersten Mal ein erfahrenes Mädel, das darauf steht, sich solch schüchterner Typen anzunehmen und sie ein bisschen zu „trainieren“, vorausgesetzt, er hat das Glück, so eine zu finden.
Es gibt aber gar nicht so wenige, die das zumindest manchmal machen, weil sie so einen linkischen, schüchternen Burschen süß finden.
Ich selbst habe auch ein paar solcher Jungs „zu Männern gemacht“. Nachdem sie ein paar mal mit mir im Bett waren und ich sie aufgebaut hatte, fühlten sie sich gestärkt und selbstsicher und lernten später Frauen kennen, mit denen sie gute, stabile Beziehungen eingingen.
Das funktioniert perfekt, wenn die Frau lieb und einfühlsam ist und versteht, was sie tut.
(Hierzu könnte er auch, obwohl du vermutlich nicht gerade das im Sinn hattest, Casual Dating Seiten nutzen, wo er auch gezielt nach einer solchen Frau suchen könnte.
Geradeso, wie es Typen gibt, die auf Jungfrauen abfahren, gibt es auch Frauen, die es mögen, unerfahrenen jungen Männern zu zeigen, „wo es längs geht“.)
Außerdem hat er dann später seiner ersten richtigen Freundin im Bett auch was zu bieten. Gerade für junge Männer ist die Vorstellung sehr, sehr schlimm, sich mit der ersten Frau, in die man verliebt ist, beim Sex wie ein kompletter Volltrottel anzustellen. Das gilt generell für alle Jungens und mehr noch für Spätzünder, aber für ihn als Autisten mit seinen sozialen Schwierigkeiten multipliziert sich diese Angst noch.
Sobald er diese Hürde überwunden und die ersten Male erlebt hat, wird es schon leichter für ihn.
Versuch ihm das klarzumachen und erkläre es ihm notfalls ruhig alles so detailliert, viele Autisten brauchen das, weil sie solche Dinge nicht von allein erkennen.
Je nachdem halt, wie gut er Andeutungen versteht (damit haben Autisten oft so ihre Schwierigkeiten), wie leicht er verlegen wird und wie offen ihr über Sex reden könnt oder eben nicht.
Du kennst deinen Sohn schließlich am besten. Und er ist ja ein erwachsener Mann, also ist nichts dabei.
Falls es dir selber peinlich ist, denk daran, es geht darum, deinem Sohn zu helfen und das ist schließlich die natürlichste Sache der Welt.
Womöglich erscheint es dir auch abstoßend, als würde er die Frau benutzen. Natürlich soll er gerade nicht diese Haltung annehmen. Er ist ja kein Vergewaltiger, und ganz gewiss auch keiner dieser widerlichen Aufreißertypen, die hinter Frauen wie hinter Trophäen her sind.
Dabei geht es vielmehr darum, gemeinsam sexuelle Erfahrungen zu machen, was in beiderseitigem Interesse und Vergnügen liegt.
Wie „benutzen“ erscheint es nur, wenn man das Recht, erstmal einfach nur Erfahrungen zu sammeln und Spaß zu haben, nur Männern zuspricht. Auch Frauen möchten das und immer mehr werden sich darüber klar - zum Glück!
Und er wird so Sicherheit gewinnen, um später eine Frau kennenzulernen, in die er sich verliebt, ohne die ständige Angst im Hinterkopf, sich vor ihr als unwissende Jungfrau zu blamieren oder mangels Erfahrungen abgewiesen zu werden (eine, die das tut, ist eh nicht die Richtige).
Ich hoffe nur, in seinem Kopf geistert nicht die auch bei Männern verbreitete Vorstellung herum, das erste Mal sei etwas total besonderes.
Keine Ahnung, warum so viele Leute das so beharrlich glauben und so einen Wind drum machen. Es ist doch nur ein Mal, auf das viele, viele andere Male folgen werden und kein 8. Weltwunder. Tatsächlich stellen sich so gut wie alle Menschen beim ersten Mal wie ungeschickte Tölpel an und es ist kaum einmal für jemanden sonderlich berauschend, das sollte ihm klar sein.
Und mach ihm bewusst, dass er keineswegs allein mit seinen Problemen ist: alle stehen am Anfang dieselben Ängste aus, egal ob Autisten oder „Normalos“. Bei den Letzteren passiert es nur meist früher - aber das ist doch kein Wettrennen! Wann man das Ziel erreicht, spielt gar keine Rolle, wichtig ist nur, dass man es erreicht - jetzt meine ich eine bedeutsame, glückliche Beziehung - und vor allem mit wem.
Besser natürlich, er kriegt diese Dinge von Freunden und Mädels indirekt vermittelt, aber das ist bei ihm ja etwas schwierig.
Wichtig wäre auch zu klären, ob es vor allem der Mangel an sexueller Erfahrung ist, der ihn quält, wie es i.d.R. bei jungen Männern (autistisch oder nicht) in seiner Lage ist, oder ob er sich eher nach Romantik sehnt. Dann ist er mit C-Date und Konsorten natürlich nicht so gut beraten. Höchstens zeitweise als Ersatz.
Männer sind nach meiner Erfahrung insgeheim oft die viel größeren Romantiker.
Mein Freund ist auch Autist, aber er will vor allem schmusen und hat ein starkes Bedürfnis nach Nähe, Intimität und Zärtlichkeit, während ich beim Kuscheln mit ihm eher schnell Lust auf Sex kriege. Ihm ist Sex gar nicht soo wichtig (obwohl er es sehr gerne tut, sobald ich ihn dazu animiert habe und immer öfter auch von sich aus anfängt - so viel zu den Klischees.)
Vor mir war er mit 5-6 Frauen ein paar mal im Bett gewesen, aber ich bin die Erste, in die er sich richtig verliebt hat.
Sehr geschickt war er anfangs noch nicht, daher (u.a.) glaube ich auch, dass seine Prioritäten anderswo liegen.
Doch auch wenn dein Sohn meinem Freund in der Hinsicht ähnelt, wird es ihm helfen - und deutlich einfacher für ihn sein - erstmal zwanglose sexuelle Kontakte einzugehen (mit allen gebotenen Vorsichtsmaßnahmen, versteht sich), bevor er sich an eine echte Beziehung heranwagt.
Mein Freund hätte es ganz am Anfang, vor seinen Begegnungen mit anderen Frauen, hätten wir uns damals schon kennengelernt, noch nicht gewagt, sich mir zu nähern.
So, wie ein Mann das normalerweise tut, hat er es auch nicht angefangen, sondern mich wie ein Bub geneckt und mit mir herumgealbert. Trotzdem hat seine schalkhafte, naiv-unkomplizierte Art mich bezaubert. Jetzt sind wir seit anderthalb Jahren glücklich zusammen.
Auch dein Sohn muss also nicht wie alle anderen Männer sein, um die Frau, die er liebt, für sich zu gewinnen. Wenn sie ihn auch liebt und wirklich zu ihm passt, wird sie ihn gern haben, wie er ist.
Was nun die Drogen angeht, kann ich deinen Sohn gut verstehen. Ich hatte auch eine Phase, wo ich einiges ausprobiert habe.
Ich verstehe natürlich deine Sorge als Mutter, wenn du davon hörst und finde es sehr, sehr gut, dass du nicht panisch oder gar hysterisch reagierst, sondern versuchst, zu verstehen, warum er das tut und wozu.
Manche Drogen helfen tatsächlich, allerdings ist es wichtig, genau zu wissen, was man tut, vorsichtig und verantwortungsvoll damit umzugehen und die Risiken zu kennen.
Außerdem sollte er immer im Hinterkopf behalten, dass der Effekt nur temporär ist und - vielleicht das Wichtigste - wissen, dass die Drogen nichts erschaffen, was nicht ohnehin schon in ihm vorhanden ist. Aber sie können ihm helfen, sich dessen besser bewusst zu werden - vorausgesetzt er übertreibt es nicht.
Was nimmt er denn eigentlich?
Und wenn er Drogen nimmt, geht er dann auch auf Parties oder in Clubs?
Hat er schonmal probiert, dort ein Mädchen anzusprechen? Vielleicht fällt es ihm in berauschtem Zustand ja leichter.
Doch Vorsicht: bei sexuellen Handlungen sollte er in der Situation sehr genau aufpassen, besonders wenn die Frau ebenfalls high bzw. betrunken ist.
Da er Schwierigkeiten hat, kommunikative Signale zu deuten und generell unerfahren ist, könnte er ungewollt im strafrechtlich relevanten Bereich landen.
Nicht alle Frauen sagen klar und deutlich „nein“, einige erstarren vor Angst bei unerwünschten Annäherungsversuchen, besonders oft solche, die sexuelle Gewalt erlebt haben - und unter Frauen, die Drogen nehmen, kommen die aus naheliegenden Gründen gehäuft vor.
Zudem können Menschen unter Drogeneinfluss sich seltsam verhalten und ihn damit verwirren, zumal wenn er selber drauf ist.
Oder die ist auf ihrem Trip ganz woanders, merkt kaum, was gerade passiert und ist eigentlich von ihrem Zustand her nicht mehr wirklich einwilligungsfähig.
Das muss nicht das Crosby-Szenario mit einer fast besinnungslosen Frau sein - ich gehe mal davon aus, dass du deinen Sohn anständig erzogen hast und er Gewissen und Verstand genug besitzt, so etwas niemals auszunutzen - sondern sie ist vielleicht total verstrahlt, aber wach und redet. Dann missdeutet er eventuell die Situation.
Womöglich hemmt ihn ja auch Angst, unversehens in genau so eine Lage zu geraten.
Im Zweifelsfall muss er eben direkt fragen, ob seine Annäherung willkommen ist. Irgendwie ist das ja auch niedlich. Auch wenn er riskiert, sich damit zum Deppen zu machen (warum eigentlich? keine Frau will schließlich ungebeten begrapscht werden!) ist es besser, als „Depp“ dazustehen, denn als unfreiwilliger Sexualstraftäter.
Um sich nicht Mut anturnen zu müssen, generell bei allen sozialen Interaktionen, nicht nur mit Frauen, an denen er interessiert ist, kann dein Sohn vor dem Spiegel das Reden und soziale Situationen einüben.
So sieht er sich auch, wie andere ihn wahrnehmen. Mir hat das sehr geholfen und ich nutze diesen Trick auch weiterhin.
Aktiv kannst du ihm helfen, soziale Situationen zu bewältigen, indem du mit ihm Rollenspiele durchführst (Leute kennenlernen, Freunde finden, Frauen ansprechen, Hemmungen und Ängste in Situationen abzubauen, in denen er sich besonders unwohl fühlt...)
Anschließend könnt Ihr Eindrücke austauschen und die Interaktion gemeinsam analysieren.
Schließlich und endlich kann für ihn auch eine Gesprächs- oder Verhaltenstherapie hilfreich sein.
Ihn mit schwersten Medikamenten vollzupumpen kann jedenfalls nicht die Lösung sein. Wie begründet dieser Kurpfuscher von einem Psychiater überhaupt diese unsinnige und unnötige Medikation? Ich vermute mal, er hat ihm das wegen Ängsten und als Depressionen diagnostizierten Minderwertigkeitsgefühlen verschrieben? Hat er es überhaupt begründet?
Auf jeden Fall sollte dein Sohn sich nicht verpflichtet fühlen, Medikamente zu schlucken, mit denen er sich dermaßen unwohl fühlt, wie du sagst (verständlich!)
Denn wie ich ausführlich beschrieben habe, gibt es zahlreichere praktischere und mildere Lösungen, die ihm nicht über Nacht, aber ganz sicher mit der Zeit ein Gefühl von Stärke und Sicherheit geben werden. Und am allerwichtigsten: den mit nichts zu vergleichenden Triumph, diese Erfolge gänzlich aus eigener Kraft errungen zu haben!
Bin gespannt, mehr über deinen Sohn zu erfahren und wünsche euch auf eurem weiteren Weg alles Gute!
Lg, Arisu