LourdesTeil 1
Sie weiß tatsächlich noch nicht mal selbst, was in ihrem Kopf vorgeht. Aber dafür bin ich jetzt ein ganzes Stück weiter. Also, gestern ist sie zu mir gekommen und ihr ging es mal wieder überhaupt nicht gut – ihr kennt diese Schwächeanfälle ja inzwischen auch. Sie war nicht gerade gesprächig, was ja auch nichts Neues ist. Jedenfalls sind wir dann noch in einen Biergarten gefahren und ich habe munter drauf los erzählt. Das alles natürlich in der Hoffnung, dass was von ihr rüberkommt. Doch keine Chance, irgendwas war ganz besonders faul heute.
Ich habe ihr dann vorgeschlagen, doch lieber etwas mit ihren Leuten zu machen, da das mit uns ja so keinen Sinn macht. Mit der Zeit hat sie dann solche Bauchschmerzen bekommen, dass sie aufgesprungen ist und sofort heimfahren wollte. Ich konnte das ganze noch knapp verhindern, also schnell noch austrinken, zahlen und erst dann los fahren. Sie wollte nur noch nach Hause, ich wollte Klarheit und Gewissheit. Jedenfalls sind wir dann erstmal in Richtung Heimat gefahren, um bei einer Kneipe anzuhalten, damit sie speien konnte.
Sie wieder raus aus der Toilette und wollte natürlich immer noch heimfahren. Ich habe ihr klar gemacht, dass ich sie auf keinen Fall heimfahren lassen werde, so lange sie sich in einem solch desolaten Zustand befindet und ich nicht weis, was los ist. Wir sind dann ins Auto eingestiegen, ich auf der Beifahrerseite, aber dafür mit dem Autoschlüssel. Jedenfalls habe ich dann erstmal wie ein verrückter auf die Armaturen eingeschlagen und geschrieen, dass sie mir endlich sagen soll, was genau los ist - ihr könnt Euch das sicher sehr gut vorstellen.
Sie hat inzwischen natürlich geheult wie ein Schlosshund. Jedenfalls habe ich dann endlich zu hören bekommen, was für die verschiedenen Unstimmigkeiten der letzten Monate verantwortlich ist: Sie liebt mich nicht mehr. Sie hat die ganze Zeit noch gehofft, dass sich wieder Gefühle für mich einstellen, was aber nicht passiert ist. Das Ganze hat vor einigen Monaten begonnen, und hat wohl mit dem damaligen Zungenkuss mit einem anderen den vorläufigen Höhepunkt erreicht.
Inzwischen war ich dann auch am heulen. Eine völlig neue Erfahrung, denn das habe ich als „gestandener Mann“ über fünf Jahre lang nicht mehr gemacht. Sie musste unterdessen wieder auf eine Toilette, diesmal aber doch bei mir daheim, denn sie wollte mir plötzlich noch mehr erzählen. Zu Hause angekommen, habe ich also noch diverse andere Dinge erfahren, wie zum Beispiel, dass sie nur mit mir geschlafen hat, um ihr Gewissen zu beruhigen – was mich dann freilich auch getroffen hat wie ein Hammer.
Auf die Frage, warum sie nicht mit mir Schluss gemacht hat, meinte sie, dass sie die ganze Zeit noch gehofft hat, dass sich wieder Gefühle für mich einstellen. Sie möchte mich auf keinen Fall verlieren, weil ich der einzige bin, der sie versteht. (Übrigens eine Tatsache, die ich schon länger vermutet habe: Natürlich wäre es ihr am liebsten, wenn ich mit ihr Schluss gemacht hätte, ihr aber quasi als guter Freund erhalten geblieben wäre – eine völlig Utopische Vorstellung.)
Sie versteht auch bis heute nicht, warum ich nicht mit ihr Schluss gemacht habe. Sie sagte, dass ich so lieb zu ihr bin, während sie mich total schlimm behandelt. Sie könne mir nicht die Liebe geben, welche ich verdient habe. Aber sie sagte dann auch noch, sie könne es nicht ertragen, wenn ich eine andere Frau hätte und so weiter. Es ist also wohl schon noch so etwas wie Liebe da, aber wohl in einer kastrierten Form. Ich habe dann jedenfalls auf eine Entscheidung gedrängt, wie wir weiter verfahren wollen.
Normalerweise ergibt sich so etwas ja von selbst, ich weis auch nicht, ob es so richtig ist, dass ich in solchen Situationen immer ganz pragmatisch denke. Sie benötigt keinen Abstand, außer vielleicht ein paar Tage. Ich kann nicht mit ihr Schluss machen, sie mit mir auch nicht. Das man Liebe nicht erzwingen kann, ist uns beiden klar. Also sind wir so verblieben, dass wir es einfach noch mal versuchen wollen, unter dem Vorbehalt, dass ich jetzt weis woran ich bin. Sie hat mir versprochen, alles dafür zu tun, dass es mit uns wieder klappt.
So, jetzt sitze ich hier, schreibe diesen Text und kann das alles noch gar nicht wirklich realisieren. Ich bin komischerweise recht gut gelaunt, nicht nervös und bin die nächsten Tage auch gut beschäftigt. Gut, vielleicht ein komisches Gefühl im Magen, aber mir geht es durchaus zu gut, für das was gestern passiert ist. Später werde ich sie anrufen, eigentlich war Badesee für heute geplant, mal sehen, ob wir das heute nicht vielleicht doch besser ausfallen lassen. Ich Liebe sie.