Ich denke es ist gut, sich selbst zu kennen und auch eine Fremdeinschätzung sollte man mal hinnehmen. Sich einige Wochen mit sich zu befassen und sich oftmals nur die Rollenverteilung (Aktion und Reaktion) bewusst zu machen, hat mir viel gebracht. Drüber reden auch. Ich war noch nie in einer dauerhaften ambulanten Therapie. Habe mich aber spontan für eine therapeutische Tagesklinik entschieden, weil ich einfach überarbeitet war und aus der Nummer "mehr Anstrengung" für meine privaten und beruflichen Ziele nicht mehr heraus kam. Es war das Burnout-Syndrom. In der Therapie merkte ich auch unschöne Dinge an mir, die nie zu meinen Verhalten gehörten: Verdrängen, Vergesslichkeit und Entscheidungsschwäche. Ich habe mich komplett auf die Therapie eingelassen und dadurch rückte vermutlich alles Nebensächliche in den Hintergrund. Das Endgespräch war dann wenig erfreulich: Ich bin so etwas wie ein Querulant. :-)
Ok, mit einem nein gebe ich mich im öffentlichen Leben nicht zufrieden, ich parke dort, wo es keinen behindert - nicht immer dort, wo ich darf. Sagt mir ein Amt nein, wende ich mich an den Abteilungsleiter, in der Regel mit Erfolg. Psychologisch ist das äußerst negativ. Man wird gedrillt, immer und überall Teamplayer zu sein. Sich zu fügen, auch gegenüber dem Therapeuten? Wer beurteilt, was schlecht oder richtig ist für das eigene Leben? Das Feedback der Mitpatienten war anders: Ich hätte Rückrat, wäre eine starke Persönlichkeit und man möge mich. Eine Querulantin??? Oder nur eine, die nicht in die psychologischen Schubladen passte?
Problematisch wird es eben genau hier: bei der Einteilung der Betroffenen in Kategorien (Depressiver, Borderliner, Neurotiker, Frauke-Querulantin usw.) und der daraus resultierenden Therapie. Psychologen, Sozialpädagogen oder Lehrer sind fehlbare Menschen. Manche sind gut und erfahren. Andere wählen diesen Beruf, weil sie Bezug dazu haben, also selber eine Schraube locker haben. Alle aber kategorisieren bzw. beurteilen Menschen und versuchen auf dieser fehlbaren Basis zu helfen.
Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten auch heute noch.
George B. Shaw
Die Zeit meiner Therapie war interessant. Ich habe gelernt mir mehr Ruhe zu gönnen und auch gedanklich wieder mehr an mich zu glauben - entgegen der Empfehlung der konkreten Glaubenssätze des Therapeuten. Vor allem die Patienten in der Tagesklinik haben mich verblüfft. Um mal mit den Vorurteilen Schluss zu machen: wenige, die hirnlos und dumm sind. Vielen intelligenten, engagierten Menschen mit Tiefgang bin ich begegnet! Alle haben - wie ich - eine feinere Antenne für Ereignisse und Zustände. Der Knackpunkt ist, daß man nicht immer die "richtige" Aktion (gewünschtes Ergebnis) auf einen "Reiz" oder ein Problem an den Tag legt. Aber wer bitte kann das schon? Lehrer, Chefs, Politiker? *g*
Was man lernt, ist was man braucht. Genauso wie man als Kind lernt, einen Lichtschalter zu betätigen, um Licht zu haben. Es ist nicht mehr als ein Coaching, für das man in einem Manager- oder Führungskräfte-Seminar richtig Geld zahlt. Ich habe es kostenlos, aber nicht umsonst bekommen.
Fazit: Ich bin ein atypischer Psychopatient, umgebe mich aber gern mit empfindsamen oder auch komplizierten Menschen. Im Grunde sammelt sich in Tageskliniken die Sorte Menschen, die sich ihrer bewusster sind und etwas daraus machen wollen. Akteure am Rande des gesellschaftlichen Verhaltenskodex ...
Das sind die Weisen, die durch Irrtum zur Wahrheit reisen. Die bei dem Irrtum verharren, das sind die Narren.
Friedrich Rueckert
Seit ich diese Erfahrung gemacht habe, bin ich zudem sensibilisiert für Mitmenschen, die auch mal dringend diese Erfahrung gebrauchen könnten ... ;-)
21.07.06 - Frauke
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