Hi,
die Geschichte steht schon in einem der zahlreichen Sommerblume-Threads, aber da sie dort wohl untergeht, hier noch mal...
LG
Valerie
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Die Geschichte vom Pferd
oder: Nina und Frank
Einem Mann namens Frank gefällt eine Frau namens Nina. Er fragt sie, ob sie mit ihm ins Kino gehen will, sie sagt ja, und beide verbringen einen sehr netten Abend.
Ein paar Tage später lädt er sie zum Abendessen ein und sie haben wieder viel Spaß. Fortan treffen sie sich regelmäßig, und nach einiger Zeit trifft sich keiner von beiden mehr mit jemand anderem.
Eines Abends, als sie nach Hause fahren, schießt ein Gedanke durch Ninas Kopf, und, ohne richtig darüber nachzudenken, spricht sie ihn aus: „Ist dir klar, dass wir uns mit dem heutigen Abend seit genau 6 Monaten treffen?“
Stille.
Nina kommt die Stille sehr laut vor. Sie denkt: „Oje, ob es ihn nervt, dass ich das gesagt habe? Vielleicht fühlt er sich durch unsere Beziehung eingeschränkt oder er fühlt sich von mir in eine Pflichtrolle gedrängt.“
Und Frank denkt sich: „Wow, 6 Monate.“
Und Nina denkt sich: „Moment, ich bin gar nicht sicher, ob ich so eine Art Beziehung will. Manchmal hätte ich viel lieber mehr Freiraum, ich werde Zeit brauchen, um mir zu überlegen, ob ich so weiter machen will. Ich meine, wo führt uns das hin? Wird es immer so weiter gehen, oder schreiten wir auf eine Ehe zu? Vielleicht sogar auf Kinder? Darauf, unser restliches Leben miteinander zu verbringen? Bin ich bereit, diese Verpflichtung einzugehen? Kenne ich diesen Menschen überhaupt?!
Und Frank denkt sich: „ Hm, das heißt, es war... mal sehen... Februar, als wir anfingen, uns zu treffen, das war gleich nachdem ich das Auto beim Service hatte, das heißt... wie ist der Kilometerstand? Oh je! Die Karre ist überfällig für einen Ölwechsel!“
Und Nina denkt sich: „Er ist besorgt. Ich sehe es in seinem Gesicht. Vielleicht war mir nicht ganz klar, wie er die Sache sieht. Vielleicht will er mehr von unserer Beziehung, mehr Intimität, eine tiefere Bindung, vielleicht hat er sogar schon vor mir gespürt, dass ich mich zu sehr zurückhalte. Ja, das ist es. Deswegen spricht er so selten über seine Gefühle, er hat Angst zurückgewiesen zu werden.“
Und Frank denkt sich: „Die sollen sich auf jeden Fall noch mal das Getriebe ansehen. Ist mir völlig egal, was diese Deppen sagen, die Schaltung funktioniert noch immer nicht richtig. Und diesmal können sie es nicht aufs kalte Wetter schieben. Wir haben 30 Grad, und das Ding hier schaltet sich wie ein Lastwagen von der Müllabfuhr. Und ich habe diesen inkompetenten Gaunern 600 Euro bezahlt.“
Und Nina denkt sich: „Er ist sauer. Ich kann's ihm nicht übel nehmen, ich wär's auch. Ich fühle mich so schuldig, ihm das anzutun, aber ich kann nichts für meine Gefühle, ich bin einfach unsicher.“
Und Frank denkt sich: „Wahrscheinlich werden sie sagen, er gibt nur 90 Tage Garantie, diese Säcke.“
Und Nina denkt sich: „Wahrscheinlich bin ich viel zu idealistisch, und warte auf einen Ritter auf einem weißen Pferd, während ich hier neben einem superlieben Menschen sitze, einem Menschen, mit dem ich gern zusammen bin, um den ich mich wirklich sorge und der sich wirklich um mich sorgt. Einen Menschen, der wegen meiner selbstherrlichen Schulmädchenphantasien leiden muss.“
Und Frank denkt sich: „Garantie? Die reden von Garantie? Können sie haben, ich nehm' ihre Garantie und stecke sie ihnen in...“
„Frank“, sagt Nina laut.
„Was?“ sagt Frank erschrocken.
„Bitte quäl dich nicht so.“ schluchzt Nina, „Ich meine, ich weiß, dass es nie einen Ritter geben wird. Es ist so dumm. Weder einen Ritter noch ein Pferd.“
„Es gibt ein Pferd?“ fragt Frank.
„Du denkst auch, dass ich dumm bin, oder?“, sagt Nina.
„Nein!“, sagt Frank, froh, endlich eine richtige Antwort zu haben.
„Die Sache ist die... es ist einfach so... ich brauche ein wenig Zeit“, sagt Nina.
(Es entsteht eine 15-sekündige Pause, in der Frank versucht, so schnell er kann mit einer sicheren Antwort aufzuwarten. Endlich fällt ihm etwas ein, das funktionieren sollte.)
„Ja“, sagt er.
(Nina, tief bewegt, berührt seine Hand) „Oh Frank, denkst du wirklich so darüber?“
„Worüber?“, fragt Frank.
„Über ein wenig mehr Zeit“, sagt Nina.
„Oh“, sagt Frank, „Ja“.
(Nina dreht sich zu ihm und sieht im tief in die Augen, wodurch er schrecklich nervös darüber wird, was sie als nächstes sagen wird, besonders, wenn darin ein Pferd vorkommen sollte. Endlich spricht sie.)
„Danke, Frank“, sagt sie.
„Ich danke Dir“, sagt Frank.
Dann bringt er sie nach Hause, wo sie sich auf ihr Bett legt, eine von Konflikten geschüttelte, gequälte Seele, und bis in den Morgen weint.
Frank fährt nach Hause, holt sich eine Tüte Chips, stellt den Fernseher an und wird schnell von der Wiederholung eines Tennismatches zwischen zwei Neuseeländern, von denen er noch nie etwas gehört hat, in den Bann gezogen. Eine leise Stimme irgendwo in seinem Kopf sagt ihm, dass heute im Auto höchstwahrscheinlich etwas wichtiges passiert ist, aber er ist sicher, dass er niemals verstehen würde, was das war, also beschließt er, nicht mehr darüber nachzudenken.
Am nächsten Tag wird Nina ihre beste Freundin anrufen, vielleicht noch eine, und mit ihr 6 Stunden lang über die ganze Sache reden. In sorgfältiger Detailarbeit werden sie alles was sie sagte, und auch alles was er sagte, analysieren, jedes Wort, jeden Ausdruck, jede Geste, um Nuancen in der Bedeutung des Gesagten zu finden, und um jede mögliche Variante durchzugehen.
Das ganze wird sich wochenlang, wenn nicht monatelang hinziehen, ohne jemals in einer plausiblen Schlussfolgerung zu enden, aber auch, ohne jemals langweilig zu werden.
Irgendwann während dieser Zeit wird Frank während eines Tennismatches mit einem Freund, der beide kennt, kurz innehalten und fragen: „Peter, hat Nina eigentlich mal ein Pferd gehabt?“