Hallo zusammen,
habe mich gerade frisch angemeldet, weil ich aktuell vor einer schwierigen Entscheidung stehe, zu der ich mir einfach mal ein paar Meinungen von unbeteiligten Dritten einholen wollte. Es ist leider ein ziemlich langer Text, aber um meine Situation wirklich verstehen zu können, ist es denke ich wichtig, das alles zu wissen. Es wäre also sehr lieb, wenn ihr euch kurz die Zeit nehmen würdet.
Ich arbeite in der Stadtverwaltung, aktuell in der städtischen Musikschule. Vor einigen Wochen habe ich mich auf eine andere Stelle im gehobenen Dienst bei der Ausländerbehörde beworben und kannn diese nun auch zum 01.06. antreten. Für viele vielleicht eine Horrorvorstellung, dort zu arbeiten. Für mich ist es jedoch meine Wunschstelle aus folgenden Gründen:
1. Ich kenne die Arbeit dort bereits, da ich bis vor 2 1/2 Jahren bereits für 4 Jahre dort war. Damals war ich dort allerdings im mittleren Dienst beschäftigt, wo man praktisch "an der Front" sitzt, von 8 - 16 Uhr Publikum in Schlangen vor der Tür stehen hat und zu seiner sonstigen Arbeit einfach nicht mehr kommt. Da mich diese Situation damals nicht mehr ruhig schlafen ließ, habe ich mich weg beworben. Die Materie Ausländerrecht fand ich jedoch immer spannend und außerhalb der Öffnungszeiten habe ich die Arbeit dort geliebt. Dazu kam ein einmaliges Team, in dem die Chemie einfach stimmte und mit dem man auch mal einen drauf machen konnte.
2. Derzeit befinde ich mich noch für 1 bis 1 1/2 Jahre in einem Lehrgang, der mich für den gehobenen Dienst qualifiziert. Die neue Stelle bei der Ausländerbehörde kann ich trotzdem schon besetzen und werde auch schon entsprechend bezahlt. Der Wechsel bedeutet also einen Karrieresprung für mich: verantwortungsvollere / anspruchsvollere Tätigkeiten + höheres Gehalt. Es gibt zwar auch andere Stellen im gehobenen Dienst innerhalb der Stadtverwaltung, die ich bereits jetzt besetzen könnte. Auf Bäumen wachsen diese jedoch nicht und ich könnte mir auch nicht bei jeder dieser Stellen vorstellen, dort zu arbeiten.
Nun ist meine Frau jedoch strikt dagegen, dass ich dort anfange. Sie macht sich große Sorgen, weil es in der Vergangenheit ja schon das eine oder andere mal zu körperlichen oder sogar tödlichen Angriffen in städtischen Behörden gekommen ist. Vor 3 Monaten wurde unser Sohn geboren und sie sagt, sie möchte nicht, dass er ohne Vater aufwächst.
Meine Meinung dazu ist:
Ich kenne den Bereich und kann das Risiko denke ich ganz gut einschätzen. In den 4 Jahren, die ich dort war, kam es zu keinem einzigen körperlichen Übergriff, auch wenn der Tonfall oft etwas lauter wird. Letzteres war bei mir im Vergleich zu anderen KollegInnen aber auch äußerst selten der Fall, da ich von der Art her sehr ruhig und deeskalierend bin. Meine Erfahrung aus dieser Zeit ist zudem, dass sich die schwierigen Kunden in der Regel gegenüber Mitarbeitern des gehobenen Dienstes respektvoller Verhalten.
Ohnehin hätte ich im gehobenen Dienst deutlich weniger Publikumsverkehr. In der Woche hätte ich vielleicht eine Hand voll Termine. Ungesteuerte Vorsprachen gibt es dort so gut wie gar nicht.
"Idioten" und "Bekloppte" gibt es außerdem überall. Wenn ich danach gehen würde, würden zahlreiche Bereiche bei der Stadtverwaltung für mich nicht mehr in Frage kommen. In den Bezirksämtern, Straßenverkehrsämtern, Sozialämtern usw. gab es überall (deutschlandweit, nicht auf meine Stadt bezogen ;-) ) schon Vorfälle. Von daher würde sich dann meine Jobauswahl stark einschränken. Selbst in der Musikschule, in der ich jetzt arbeite, gab es schon Kunden, die laut wurden, weil sie der Meinung waren, sie hätten sich nie für irgendetwas angemeldet und nun ihr Konto gepfändet wird, weil sie nie bezahlt haben. Dass irgendjemand von diesen Leuten mal austickt, ist auch hier nicht garantiert.
Also denke ich: Vielleicht ist das Risiko bei der Ausländerbehörde etwas höher, aber meiner Meinung nach immer noch sehr überschaubar und nicht vergleichbar z. B. mit der Arbeit bei der Polizei. Und da es meine absolute Wunschstelle ist, tue ich mich sehr schwer damit, diese aufgrund der meiner Meinung nach überzogenen Sorgen meiner Frau abzulehnen.
Allerdings hält sie dem entgegen, dass ich zwar nicht mehr so viel Publikumsverkehr habe, dafür aber sehr schwerwiegende Entscheidungen treffe. Zu meinem Aufgabenbereich würde nämlich unter anderem das Vorbereiten von aufenthaltsbeendenden Maßnahnem gehören. Ich würde also grob gesagt einigen Kunden (per Brief) mitteilen, dass sie aktuell keinen Aufenthaltstitel erlangen können bzw. diesen nicht verlängern können und sie auffordern, innerhalb einer Frist bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen oder, wenn es völlig aussichtslos ist, das Bundesgebiet zu verlassen. Für den Fall, dass sie dem nicht nachkommen, würde ich aufenthalbsbeendende Maßnahmen (mit anderen Worten die Abschiebung) androhen. Diese würde ich aber nicht selbst durchführen, sondern die Akte würde an einen anderen Bereich abgegeben werden, welcher nicht selten selbst noch mal Fristen gewährt und ansonsten alles weitere veranlasst wird.
Meine Frau befürchtet daher, dass ich als letzte Person vor der Abschiebung für einige zur Zielscheibe werden könnte. Da ich ja auch Schreiben mit meinem Namen drauf versende, meint sie, dass darüberhinaus auch sie und unser Sohn in Gefahr wären, da es ja auch Kriminelle mit entsprechenden Kontakten gibt, die heraus finden würden, wo ich wohne usw.
Sie wirft mir vor, dass ich egoistisch und mir Ihre Sorgen und Ängste egal wären. Dazu muss man sagen, dass sie derzeit eine schwierige Zeit durchmacht. Seit der Geburt leidet sie unter einer Angststörung, vermutlich dadurch ausgelöst, dass sie einen ungeplanten Kaiserschnitt hatte (vor der Geburt sagte sie immer "Alles, nur keinen Kaiserschnitt"). Sie hatte deswegen auch schon einige Panikattacken, bei denen sie weinte so dass sie kaum atmen konnte, herumschrie und Gegenstände warf (nicht auf mich). Ihre Ängste richteten sich bisher aber immer auf Dinge in unserer Wohnung bzw. in der Umgebung unseres Sohnes (z. B. über mehrere Wochen anhaltender Geruch nach Tapezieren; elektromagnetische Strahlung im Wohnzimmer durch Fernseher, Stehlampe, WLAN-Router, etc.; Strahlung durch Funkmasten auf Häuserdächern in unserer Umgebung; Risse in Wänden).
Damit will ich nicht sagen, dass sie "eh momentan spinnt und vor allem Angst hat", sondern vielmehr stelle ich mir selbst die Frage, ob ich vor diesem Hintergrund vielleicht wirklich mehr Rücksicht auf ihre Sorgen und Ängste bezüglich der Jobthematik nehmen sollte.
Auf der anderen Seite hat sie jetzt seit zwei Wochen einen Therapieplatz. In ein paar Monaten geht es ihr ja möglicherweise schon wieder besser.
Ihr seht, ich bin hin und her gerissen. Bin ich ein Egoist und schlechter Ehemann, wenn ich den Job annehme? Oder sollte ich mich in einer so persönlichen Angelegenheit (Karriere / Traumberuf) nicht aufgrund ihrer überzogenen Ängste (ihre aktuelle psychische Situation mal ausgeklammert, da diese sich ja hoffentlich bald wieder bessert) einschränken lassen?
Vielen lieben Dank für eure Meinungen.