Hallo ihr Lieben,
es ist eine aufwühlende Geschichte und ich habe sie selbst noch nicht so ganz verarbeitet, aber ich muss es jetzt einfach mal loswerden. Ich hoffe, dass ich dabei nicht zu sehr ausschweife.
Mit meinem Verlobten bin ich seit mehr als drei Jahren zusammen, wir kennen uns allerdings schon deutlich länger. In diesen Jahren haben wir viel durchgestanden (unter anderem eine lange Fernbeziehung und eine lebensbedrohliche Krankheit) und die Liebe die wir teilen, ist tiefer, als die meisten Menschen es jemals erleben dürfen. Wir haben eine unglaublich harmonische Beziehung, wir streiten selten und gehen nie wütend schlafen, wir verbringen den Großteil unserer Zeit zusammen, wir unternehmen auch gerne mal etwas miteinander: Eine schöne, gesunde und vertrauensvolle Beziehung eben. Ich dachte, ich wäre ein offenes Buch für ihn und er auch für mich aber dann wurde ich vor einigen Tagen eines Besseren belehrt:
In einer ruhigen Minute offenbarte mein Verlobter mir, dass er gerne eine Frau wäre. Ich war schockiert, baff. Das hätte ich niemals erwartet. In unserer Beziehung herrscht ein recht traditionelles Rollenverständnis. Das mag nicht für jeden etwas sein, aber ich fühle mich sehr wohl in der Rolle der Frau. Ich erledige gerne Hausarbeit, koche gerne, ich bin in unserer Beziehung und arbeite auch im sozialen Bereich. Mein Verlobter ist mein Gegenpol. Er ist ruhig, besonnen, naturwissenschaftlich begabt, gibt mir (auch körperlich, durch seine Größe und Art mit mir umzugehen) Sicherheit und Geborgenheit, er verhält sich stereotyp männlich und das ist auch (neben seinem unglaublich attraktiven Äußeren) ein nicht unbedeutender Teil dessen, weshalb ich mich zu ihm hingezogen fühle.
In dem folgenden Gespräch erklärte er mir, dass er sich, seit er etwa zehn Jahre alt ist, wünscht, eine Frau zu sein. Insbesondere einen weiblichen Körper zu haben, ist für ihn wichtig. Aber auch der soziale Aspekt des Frau-Seins (oder wie er es sich vorstellt, er hat ein recht starres Rollenbild) ist ihm wichtig. Er hätte sich in den letzten Monaten mehr mit diesen Gedanken (die er zuvor versucht hatte zu verdrängen und die ihn zu seinem stereotypen Verhalten geführt haben) auseinandergesetzt und sie akzeptiert. Bisher identifiziert er sich nicht als Frau (deshalb schreibe ich auch „er“) und es fühlt sich für ihn nicht richtig an, weibliche Dinge zu tun oder entsprechende Kleidung zu tragen. Er meint, mit einem weiblicheren Aussehen wäre das für ihn leichter. Er scheint sich der Sache recht sicher zu sein, seine Priorität liegt aber – wie er sagt – auf der Beziehung zu mir. Wenn ich nicht bei ihm bleiben kann, wenn er sich entscheidet als Frau zu leben, dann will er es sein lassen.
Seitdem bin ich in einem emotionalen Zwiespalt. Durch seine Priorisierung fühle ich mich unter Druck gesetzt, auch wenn ich ihn, egal wie er sich entscheidet, nicht verlassen werde. Meine Stimmung schwankt zwischen stundenlangen Heulattacken, die so schlimm sind, dass meine Augen nicht mehr richtig abschwellen wollen und Phasen der Akzeptanz oder sogar einer gewissen Freude an der Thematik. Ich bin froh, dass er sich mir geöffnet hat und mir das Vertrauen entgegengebracht hat. Vieles ergibt plötzlich Sinn. Ich habe bearbeitete Fotos von ihm als Frau gesehen und er/sie hat mir gut gefallen. Auch der Gedanke, manche weiblichen Dinge mit ihm zu teilen, bereitet mir eine gewisse Freude. Aber ich bin ja nicht plötzlich bi, sondern stehe nach wie vor auf Männer (ihn). Ich habe mich in einen Mann verliebt, mit allem was so dazu gehört. Wenn er anfängt Hormone zu nehmen, wird er nicht nur körperlich verändert, sondern auch sein Charakter und die Rolle in der Beziehung werden sich drastisch ändern und ich weiß nicht, ob ich damit klarkommen kann. Ich habe permanent das Gefühl, ihn zu verlieren. Unsere Beziehung, in der ich mich so wohl gefühlt habe, zu verlieren, meine nahe Zukunft (die ich mit ihm so oft besprochen habe) hat sich in einen weit entfernten Traum verwandelt. Außerdem habe ich Angst um ihn: Was, wenn er damit doch nicht ganz glücklich wird? Ich bemerke, dass ihn der Gedanke daran eine Frau zu sein, (körperlich) sehr erregt, was mich sehr irritiert: Ist es nur ein extremer Fetisch? So genau kann er mir das auch nicht sagen. Er stellt sich den Weg so leicht vor. Fast naiv, würde ich behaupten. Ich sehe viele Steine in seinem/unserem Weg. Ich kann ihm nicht versprechen, ihn weiterhin so zu lieben, wie ich es jetzt tue. Gleich stark bestimmt, aber evtl. eben nur platonisch. Oder ich liebe die Person die er war, nicht die, die er dann ist. Er sagt aber, dass er ohne mich auch nicht glücklich sein kann.
Für mich steht es nicht zur Diskussion, ihn zu verlassen. Ich liebe ihn einfach zu sehr dafür und ich liebe ihn auch jetzt noch genau so sehr. Aber ich stehe vor einer schweren Entscheidung, die er leider Gottes mir auferlegt hat: Die erste Möglichkeit ist die, dass wir unser Leben so weiterleben wie jetzt und er quasi im Stillen leidet. Der Gedanke an unsere geplante Zukunft ist gleichzeitig so schön und plötzlich so abwegig und gibt mir so viele Schuldgefühle: Warum soll ich auf seine Kosten glücklich sein dürfen? Die zweite Möglichkeit ist die, dass er in Zukunft als Frau leben wird. Der Gedanke daran ist für mich noch zu verwirrend und nicht fassbar. Ich denke ich werde so oder so nicht mehr so glücklich sein wie davor. Aber ohne ihn zu sein scheint mir noch deutlich schlimmer. Wir werden wohl beide therapeutische Hilfe brauchen, aber in DE wartet man nun mal eine Weile auf einen Therapieplatz…
Meine Fragen an euch: Ist es schlimm, dass ich so fühle und meinen Partner nicht 100% unterstützen kann? Wie würdet ihr handeln? Was könnt ihr mir empfehlen? Habt ihr evtl. selbst schon solche Erfahrungen gemacht? Alle Impulse und Gedanken sind herzlich willkommen. Da er sich nur mir gegenüber geoutet hat, kann ich das alles mit niemandem sonst besprechen und freue mich einfach über ein paar nette Worte.