lucile_12693103Weißt du...
... ich möchte dir wirklich helfen. Bitte vergiss nie völlig, was ich dir geraten habe. Das hab ich nirgends gelesen, sondern das ist mir doch tatsächlich auch passiert... Gut, ich habe da noch keine Kinder gehabt, da hätte ich gleich radikaler reagiert. Aber im Prinzip: ich verstehe dich! Als ich erkannte, dass mein Mann trinkt, war ich als erstes ratlos. Mit 23 ist man damit leicht überfordert. Aber ich habe nicht die Augen davor verschlossen, dass es gefährlich ist. Nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht, auch in gesundheitlicher. Bevor ich aber "die ganze Sache" von einer anderen Seite aufrolle, wollte ich dir gerne einen Ratschlag mitgeben: damals schrieb ich meinen Großeltern einen Brief und erzählte von seinem Problem und dass ich ihm helfen möchte sofern er es zulässt. Meine Großeltern haben das Beste getan, was man hätte machen können. Sie haben mir eine Adresse und einen Termin genannt. Es gibt Einrichtungen, die kümmern sich nicht nur um die Süchtigen, sondern auch um deren Angehörigen. Lange Zeit bin ich zu Angehörigentherapie gegangen. 1-2 Mal die Woche. Dort konnte ich mich aussprechen und professionelle Ratschläge abholen wie man in seinem Fall evtl. vorgehen könnte. Du ahnst garnicht, wie mir das geholfen hat.
Mein Exemplar war auch nicht aggressiv. Einmal hat er mich "Schlampe" genannt. Aber das war's. Entweder er hat geredet wie ein Wasserfall (für gewöhnlich auch 10 Mal wiederholt), hat sauber gemacht weil ich arbeiten war, war einkaufen, hat mir Geschenke geholt, hat telefoniert und Leute zu sich eingeladen und wenns halt besonders schlimm war, dann ist er an Ort und Stelle eingeschlafen (auch im Bus oder Wald und Flur). Er hat Haustürschlüssel verloren und Handys - vor allem seine Würde, hätte ich jetzt gesagt.
Auch wenn du deinen Mann jetzt in den Schutz nimmst, weil er trotzdem noch so ein netter Kerl ist, es ist nur Schein. Überleg doch mal: würdest du deine Kinder in diesem Zustand gerne mit ihm alleine lassen? Würdest du jetzt beruhigt einkaufen fahren können? Würdest du ihn so eines deiner Kinder in den Krankenhaus oder zum Arzt fahren lassen weil ein Notfall eingetroffen ist? Du siehst das Potenzial. Er hat wundervolles Potenzial. Er könnte ein sehr toller und liebevoller Vater sein. Er wäre immer für euch da und würde euch im Notfall beschützen. Aber so betrunken kann er das doch garnicht wirklich! Wenn er sich betrunken ins Auto setzt, besteht immer die Gefahr, dass er einen folgenschweren Unfall baut. Und jeder weitere aus eurer Familie, der mit ihm mitfährt, bringt sich selbst in Lebensgefahr.
Glaub mir, es wird auch schlimmer werden. Wenn er "nur" Bier trinkt, ist die Tatsache deshalb nicht weniger schlimm. Sowas gibt es, Alkoholiker, die z.B. nur Wein trinken. Da ist es wirklich nach dem Prinzip "alles kann, nichts muss". Und seh es auch gesundheitlich: was er seinem Körper damit antut. Bauchspeicheldrüse, Leber, Gehirn. Was ist, wenn irgendwann Krebs ausbricht weil er so oft trinkt? Und dann ist er an einem Punkt, wo Aufhören für ihn nicht mehr in die Tüte kommt? Dann säuft er sich in den Tot und du kannst nur noch zusehen. Was meinst du, wie sehr du dich dann ärgerst nicht vorher härter durchgegriffen zu haben.
Außerdem darfst du nie vergessen: Suchtkranke, also auch "Alkis" sind sehr empfindsame Menschen. Gerade das lieben wir ja auch an ihnen. So sanft, sie verstehen so unglaublich viel. Das ist aber auch deren Galgen. Dein Mann trinkt ja nicht so viel, weil's ihn schmeckt (naja, vielleicht auch). Es gibt einen Grund warum er sich betäuben muss. Er hat ein großes Problem. Vielleicht depressiv weil ihm in seinem Leben mal etwas passiert ist, was ihn schwer getroffen hat. Bei meinem Mann ging es los, als sein Vater Krebs bekam. Das hat ihn fertig gemacht. Nun ist sein Vater daran aber nicht gestorben und irgendwann hat mein Mann das auch gerafft, dass es "halb so schlimm" war.
Dass du ihm nicht den Freiraum geben möchtest sein "perfektes Doppelleben" zu führen, hab ich schon öfter von anderen Frauen gehört. Mein Mann hat damals ja offiziell nicht bei mir gewohnt. Deshalb hab ich ihn ja irgendwann rausgeschmissen und hab nur noch ihn besucht. So hatte ich immer meine neutrale Zone. Du ahnst garnicht wie sehr ihr die nötig habt. Ihr sollt euch ja nicht räumlich trennen damit er mehr saufen kann, sondern damit du und die Kinder etwas Ruhe vor ihm habt. Denn das Trinken wird SO bestimmt nicht besser - es wird schlimmer. Und Kinder sollten wirklich nicht alles mitbekommen. Ja, dein Mann wird wohlmöglich erstmal seiner Trinkerei freien Lauf lassen. Aber, wenn noch etwas bei ihm zu retten ist, dann wird er auch ganz schnell begreifen, dass ihn das Trinken nicht glücklich macht. Und an diesen Punkt möchtest du ihn doch bekommen, oder nicht? Das ist der erste Schritt: durch das Trinken werde ich nicht glücklich.