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Forum / Liebe & Beziehung

Mein (27) neuer Freund (24) ist oft unsicher, er ist schwerbehindert und hat in erster Linie dadurch große Selbstzweifel - kann die Beziehung funktionieren?

Letzte Nachricht: 13. Dezember 2022 um 12:29
I
inverno
13.12.22 um 1:44

Ich habe ihn vor wenigen Monaten per Zufall auf einer Veranstaltung kennengelernt. Nach dem dritten Treffen war uns klar, dass wir nicht nur freundschaftliches Interesse aneinander haben. Er war noch nie in einer Beziehung, ich hatte eine ernsthafte Beziehung, die allerdings nach drei Jahren in die Brüche gegangen ist und mich so heftig getroffen hat, dass ich Abstand von Dating, generell, genommen habe. Er ist allerdings absolut mein Typ, wir haben viele gemeinsame Interessen, ähnliche Ansichten und können viele offene Gespräche haben.

In der Kennenlernphase hat er mir bereits von seiner Krankheit berichtet, er ist aufgrund einer progressiven angeborenen Krankheit und eines Unfalls nicht gehfähig und nutzt daher einen Rollstuhl. Er erzählte mir, er sei quasi den ganzen Tag unterwegs, erzählte von Städtetrips, seinen Freunden, die er als neu Zugezogener bereits gefunden hat, von seinen Hobbies, die von Sport bis zu Besuch von kulturellen Veranstaltungen reichen. Er meinte auch, dass er nur nicht gehfähig, sonst aber fit ist und dass er wohl immer eingeschränkt sein wird, aber viel trainier, damit er in der Zukunft wieder stehen und kurze Strecken mit Gehhilfe schaffen kann. Dies erzählte er ohne Nachfrage meinerseits, da ich persönlichen Themen in der Kennenlernphase eher nicht anspreche - viele Menschen benötigen dafür eine Vertrauensbasis, die es erst aufzubauen gilt.

Die ersten Treffen waren toll, wir waren viel unterwegs, ich besuchte ihn und seine Mutter auch in ihrer Wohnung, blieb über Nacht und wir kamen uns näher. Oft verbrachten wir die ganze Nacht mit Gesprächen, der Film, der im Hintergrund lief, war vollkommen uninteressant, wir schenkten uns gegenseitige volle Aufmerksamkeit. Irgendwann merkte ich aber, dass etwas nicht stimmt... und dass es ihm weniger gut geht, als er mir beim ersten Treffen beschrieb. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber der Schein ließ sich nicht ewig aufrecht erhalten. Manchmal war er so erschöpft, dass wir unseren Ausflug nach einer halben Stunde abbrechen mussten - er war oft sehr müde und gab dann zu, dass er heftige Schmerzen hat. Wir haben dann viel Zeit bei ihm zuhause verbracht.

Bei einer Untersuchung erfuhr er, dass sein Zustand sich verschlechtert hat und dass er nicht mehr gehfähig werden wird. Nach diesem Tag war er verändert und wirkte verzweifelt... er sagte mir sogar direkt, dass er dieser Diagnose gerne gehabt hätte, bevor er sich auf unsere Beziehung eingelassen hat.

Natürlich kann ich mich nicht in seine Situation hineinversetzen, aber es bricht mir das Herz, dass er solche Zweifel hat und dass meine Anwesenheit ihn noch unzufriedener macht. Er fragte mich mehrmals, ob ich seinen Körper und seine Einschränkungen nicht als unattraktiv empfinde, ob er irgendwas machen könnte, damit er besser aussieht... und er erzählt oft, was er gerne mit mir machen würde, wenn er "normal" (seine Wortwahl) wäre... viele Reisen, Wandern, Camping, Festivals. Ich habe auch den Eindruck, dass er meine Freunde nicht treffen möchte, leider. Ich dagegen durfte schon einige seiner Freunde kennenlernen.

Anfangs wirkte er total selbstbewusst, willensstark, wortgewandt, aufmerksam und strahlte eine bemerkenswerte Ruhe aus. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass er solche tiefliegenden starken Selbstzweifel hat und ich fühle mich schrecklich dabei, wenn ich ihn nicht überzeugen kann, dass ich ihn wirklich toll finde und ich eventuell sogar in gewisser Weise dazu beitrage. Vielleicht war er anfangs nicht ganz ehrlich, allerdings möchte sich bestimmt jeder in seiner bestmöglichen Version präsentieren... und es dauert eine Weile, bis man sich auf emotionaler Ebene nah genug kommt, um auch Schwäche zeigen zu können. Mir ist auch bewusst, dass es für ihn eine wirklich schwere Zeit ist und er sich überfordert fühlt - selbst als Außenstehende kann ich es nachempfinden. Ich mache mir allerdings Sorgen, dass unsere Beziehung eine weitere Last für ihn darstellen könnte.

Wie gehe ich am besten mit der Situation um? Seine Selbstzweifel im Bezug auf mich einfach abzutun, wäre respektlos - ich will allerdings auch nicht zu viel Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und ihn damit in seiner Unsicherheit bestärken. Er ist mir sehr wichtig und auch wenn es für manche Menschen zu früh scheint, kenne ich mich selbst gut genug, um ehrlich zu sagen, dass ich diesen Mann liebe und ich ihn keinesfalls verletzen möchte.

Falls ihr Ratschläge oder Ideen habt oder vielleicht von ähnlichen Situationen berichten könnt, wäre dies mir eine große Hilfe.


 

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C
corendi
13.12.22 um 8:06
In Antwort auf inverno

Ich habe ihn vor wenigen Monaten per Zufall auf einer Veranstaltung kennengelernt. Nach dem dritten Treffen war uns klar, dass wir nicht nur freundschaftliches Interesse aneinander haben. Er war noch nie in einer Beziehung, ich hatte eine ernsthafte Beziehung, die allerdings nach drei Jahren in die Brüche gegangen ist und mich so heftig getroffen hat, dass ich Abstand von Dating, generell, genommen habe. Er ist allerdings absolut mein Typ, wir haben viele gemeinsame Interessen, ähnliche Ansichten und können viele offene Gespräche haben.

In der Kennenlernphase hat er mir bereits von seiner Krankheit berichtet, er ist aufgrund einer progressiven angeborenen Krankheit und eines Unfalls nicht gehfähig und nutzt daher einen Rollstuhl. Er erzählte mir, er sei quasi den ganzen Tag unterwegs, erzählte von Städtetrips, seinen Freunden, die er als neu Zugezogener bereits gefunden hat, von seinen Hobbies, die von Sport bis zu Besuch von kulturellen Veranstaltungen reichen. Er meinte auch, dass er nur nicht gehfähig, sonst aber fit ist und dass er wohl immer eingeschränkt sein wird, aber viel trainier, damit er in der Zukunft wieder stehen und kurze Strecken mit Gehhilfe schaffen kann. Dies erzählte er ohne Nachfrage meinerseits, da ich persönlichen Themen in der Kennenlernphase eher nicht anspreche - viele Menschen benötigen dafür eine Vertrauensbasis, die es erst aufzubauen gilt.

Die ersten Treffen waren toll, wir waren viel unterwegs, ich besuchte ihn und seine Mutter auch in ihrer Wohnung, blieb über Nacht und wir kamen uns näher. Oft verbrachten wir die ganze Nacht mit Gesprächen, der Film, der im Hintergrund lief, war vollkommen uninteressant, wir schenkten uns gegenseitige volle Aufmerksamkeit. Irgendwann merkte ich aber, dass etwas nicht stimmt... und dass es ihm weniger gut geht, als er mir beim ersten Treffen beschrieb. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber der Schein ließ sich nicht ewig aufrecht erhalten. Manchmal war er so erschöpft, dass wir unseren Ausflug nach einer halben Stunde abbrechen mussten - er war oft sehr müde und gab dann zu, dass er heftige Schmerzen hat. Wir haben dann viel Zeit bei ihm zuhause verbracht.

Bei einer Untersuchung erfuhr er, dass sein Zustand sich verschlechtert hat und dass er nicht mehr gehfähig werden wird. Nach diesem Tag war er verändert und wirkte verzweifelt... er sagte mir sogar direkt, dass er dieser Diagnose gerne gehabt hätte, bevor er sich auf unsere Beziehung eingelassen hat.

Natürlich kann ich mich nicht in seine Situation hineinversetzen, aber es bricht mir das Herz, dass er solche Zweifel hat und dass meine Anwesenheit ihn noch unzufriedener macht. Er fragte mich mehrmals, ob ich seinen Körper und seine Einschränkungen nicht als unattraktiv empfinde, ob er irgendwas machen könnte, damit er besser aussieht... und er erzählt oft, was er gerne mit mir machen würde, wenn er "normal" (seine Wortwahl) wäre... viele Reisen, Wandern, Camping, Festivals. Ich habe auch den Eindruck, dass er meine Freunde nicht treffen möchte, leider. Ich dagegen durfte schon einige seiner Freunde kennenlernen.

Anfangs wirkte er total selbstbewusst, willensstark, wortgewandt, aufmerksam und strahlte eine bemerkenswerte Ruhe aus. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass er solche tiefliegenden starken Selbstzweifel hat und ich fühle mich schrecklich dabei, wenn ich ihn nicht überzeugen kann, dass ich ihn wirklich toll finde und ich eventuell sogar in gewisser Weise dazu beitrage. Vielleicht war er anfangs nicht ganz ehrlich, allerdings möchte sich bestimmt jeder in seiner bestmöglichen Version präsentieren... und es dauert eine Weile, bis man sich auf emotionaler Ebene nah genug kommt, um auch Schwäche zeigen zu können. Mir ist auch bewusst, dass es für ihn eine wirklich schwere Zeit ist und er sich überfordert fühlt - selbst als Außenstehende kann ich es nachempfinden. Ich mache mir allerdings Sorgen, dass unsere Beziehung eine weitere Last für ihn darstellen könnte.

Wie gehe ich am besten mit der Situation um? Seine Selbstzweifel im Bezug auf mich einfach abzutun, wäre respektlos - ich will allerdings auch nicht zu viel Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und ihn damit in seiner Unsicherheit bestärken. Er ist mir sehr wichtig und auch wenn es für manche Menschen zu früh scheint, kenne ich mich selbst gut genug, um ehrlich zu sagen, dass ich diesen Mann liebe und ich ihn keinesfalls verletzen möchte.

Falls ihr Ratschläge oder Ideen habt oder vielleicht von ähnlichen Situationen berichten könnt, wäre dies mir eine große Hilfe.


 

Ich denke wenn du ihn wirklich liest und dir eine Beziehung mit ihm vorstellen kannst ,dann solltest du es run.

Ihm zeigen das du es ernst meinst dann kommt auch sein Selbstvertrauen zurück. 

Es ist   schön wenn sich zwei Menschen gefunden haben.

Viel Glück 

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S
sisteronthefly
13.12.22 um 8:21

Hallo, 

es sind nicht nur bloße Selbstzweifel die ihn quälen. Durch die ärztliche Nachricht wurde scheinbar sein gesamtes Selbstbild erschüttert. Das ist für die betroffene Person schwer zu ertragen, weil alles, was du dir für dein Leben erhofft hast plötzlich nicht mehr gilt. Das sind z.B. Träume, Wünsche, Sehnsüchte oder auch Zukunftspläne. Das wird alles auf einmal vom Tisch gefegt und hinterlässt vermutlich eine große, schmerzende Leere. Zum Selbstbild gehört auch das Selbstempfinden. Auf einmal tun sich ganz neue Fragen auf. Wie empfinde ich mich jetzt, nachdem ich diese Diagnose bekommen habe. Wie empfinden mich andere. Die Zweifel kommen erst, wenn das Selbstempfinden in Frage gestellt wird. 

Dein Freund muss sich selbst wiederfinden und sein Leben mit den aktuellen Gegebenheiten ausrichten. Ich glaube, dass deine Klarheit sehr wichtig für ihn werden könnte. Niemand kann von dir verlangen auf ein "normales" Leben zu verzichten, welches in deinem Alter üblich ist. Wie eure Normalität aussehen könnte müsstet ihr besprechen, nachdem er sich neu ausgerichtet hat. Sein großes Ziel wieder gehen zu können gibt es nicht mehr. Er braucht ein neues Ziel aber muss vermutlich erst aus einer großen Traurigkeit herausfinden. Zur Trauer gehört möglicherweise auch eine Phase der Wut und der Aggression. Das schreibe ich dir, damit du gewappnet bist und du sie nicht auf dich beziehst. Viele Menschen, vor allem Männer ziehen sich dann gerne zurück und wirken hart oder kalt. 

Gib ihm die Zeit, die er benötigt und signalisiere Gesprächsbereitschaft wenn er sie wünscht. 
Falls er dich von sich stößt kannst du nicht viel tun. Versuche Ruhe zu bewahren und mach ihm klar, was du für ihn empfindest und das du für ihn da bist, wenn er soweit ist. Falls dies die Wahrheit ist. Wenn du hier schon merkst, es wird dir auf die Dauer zuviel, dann nehme besser Abstand. 

LG Sis

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fuechslein-101
fuechslein-101
13.12.22 um 12:29

Einen Rat kann man da nur schwerlich geben. Ich will es trotzdem versuchen.

Zunächst: was veränderte sich denn mit der erschütternden Diagnose? Am derzeitigen Zustand doch wohl nur wenig, eher an seinen Zukunftsassichten. Was er braucht ist kein Trost oder gar Mitleid, sondern handfeste Unterstützung! 

Was stellst du dir denn vor, wie es weitergeht? Bist du bereit, ihm diese Unterstützung zu geben? Wenn ja, verspreche ich dir, dass es zuweilen für dich hart werden wird! Denn du wirst es sein, ihm immer wieder Kraft geben zu müssen, Kraft gegen seine Selbstzweifel!

Viele machen den großen Fehler (und da gehörte auch ich dazu), dass sie ihren schwerbehinderten Partner überversorgen, ihm z.B. auch die kleinste Entscheidung abzunehmen. Ich hatte es leider viel zu spät erkannt, dass ich damals meiner Frau auch das letzte bischen ihrer Selbstständigkeit nahm. Das hatte sie nicht stark, sondern absolut abhängig gemacht, was ihr in schwierigen Situationen den (Über-) Lebensmut nahm. Immer nach dem Motto: "Der Papa macht das schon..." hatte sie schließlich nicht mehr die Kraft, selbst Dinge zu wollen. Nach ihrem letzten Unfall und der anschließenden Erkrankung fehlte ihr schließlich diese Kraft, die ich ihr mit dieser Überversorgung nicht gegeben hatte.

Eine Beziehung mit einem körperlich schwer eingeschränkten Menschen (und das sollte jedem klar sein!) ist eine Lebensaufgabe! Es wird immer Einschränkungen geben, beruflich, aber auch im Privatleben. Bür den Betroffenen ist nichts schlimmer, irgendwann fallen gelassen zu werden wie ne heiße Kartoffel, weil man sich irgendwann mit den Besonderheiten des Zusammenlebens überfordert fühlt.
 

 

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