Hallo meine Damen,
ich saß heute morgen im Wartezimmer und las diesen Artikel.Da ich ihn nicht nur einfach *lustig* finde, sondern auch der Meinung bin, dass es sich sehr gut darüber diskutieren lässt, habe ich ihn von Brigitte kopiert und bitte um ein Statement von Euch.
Ich persönlich kenne das auch sehr gut, denn mein Ex hat mich sehr oft direkt in mein Schamzentrum getroffen.
Liebe Grüße
Die Sichtweise :-D
Oft schämt man sich ja gerade für die Eigenschaften, für die man ihn eigentlich besonders liebt.
Ich fühlte eine Mischung aus Überraschung und ungläubigem Staunen und wusste erst mal nicht, was ich davon halten sollte. Meine Gefühle pendelten sich schließlich zwischen "ziemlich cool" und "ziemlich peinlich" in der Mitte auf "wenn es ihm gefällt" ein. Als ich allerdings in der Pause in dem Mann vor uns an der Bar meinen Chef erkannte, änderte sich das schlagartig. Hätte mich in diesem Moment jemand gefragt, wie peinlich mir Christoph auf einer Skala von eins bis zehn ist, ich hätte mit "eine Million" geantwortet. Blitzschnell ging ich meine Möglichkeiten durch: Meinen Chef einfach komplett ignorieren und hinterher behaupten, ich hätte meine Brille vergessen? Schnell weglaufen, mich auf dem Damenklo einschließen und erst zwanzig Minuten nach dem Vorstellungsende wieder herauskommen? Christoph als einen entfernten Cousin vom Land ausgeben? Bevor ich mich für eine dieser Alternativen entscheiden konnte, drehte mein Chef sich zu uns um. Ich stellte ihm den Mann mit der grellen Krawatten-Hochwasserhosen-Kombi dann doch als meinen Freund vor. Christoph lächelte noch etwas ungelenk, und ich schämte mich aufrichtig.
Muss man solche Augenblicke nicht als endgültiges Aus einer Beziehung deuten? Sind Liebe und Peinlichkeit nicht eigentlich völlig inkompatible Gefühle? Müsste man nicht vorbehaltlos alles an jemandem lieben und schon gar über geschmackliche Fauxpas hinwegsehen? Das ist dann auch das doppelt Gemeine an peinlichen Männern: Man schämt sich dafür, sich für sie zu schämen. Dem Gedanken "Gott, ist er wieder peinlich!" folgt direkt im Anschluss ein tiefes Gefühl von Verrat und Herzlosigkeit. Und häufen sich die Peinlichkeiten, kommt irgendwann die furchtbare Frage auf: "Liebe ich ihn etwa gar nicht?" Ich verließ Christoph an diesem Abend nicht auf der Stelle, sondern entwickelte stattdessen eine zweite Checkliste. Diese Liste bestand nur aus einem einzigen Punkt: Geht das Gefühl der Peinlichkeit weg, wenn ich mit ihm allein bin? Ein wichtiges Indiz, glauben Sie mir! Bei meinem Exfreund Frank war das nämlich nicht der Fall. Er war mir zum Schluss immer peinlich, egal ob jemand dabei war oder nicht. Selbst wenn wir völlig allein vor dem Fernseher saßen, stieg mir beim Anhören seiner semispaßigen Lebensweisheiten und beim Anblick der glattledernen Röhrenhosen die Schamesröte ins Gesicht. Es reichte einfach, dass ich dabei war. Ich schämte mich quasi vor mir selbst, weil ich mit Frank zusammen war, ohne ihn zu lieben. Die einzelnen Dinge, die ich peinlich fand, waren lediglich Symptome meiner fehlenden Liebe.
Das peinliche Gefühl verschwand bei Christoph, als wir wieder allein waren. Er ist einer der Männer, für die man sich nur in der Gegenwart anderer Leute schämt. Ich fand Christophs Krawatte erst wirklich peinlich, als ich sie aus der Perspektive meines Chefs betrachtete. Ich sah plötzlich nicht mehr Christoph durch meine Augen, sondern Christoph und mich durch die Augen meines Chefs. In diesem Moment kam es mir vor, als trüge ich selbst eine orange-braune Krawatte. Christoph war mir peinlich, weil er durch meine Liebe ein Teil von mir geworden ist, allerdings ein völlig unkontrollierbarer Teil, der sich nicht immer so benimmt und anzieht, wie ich es für richtig halte. Ein bisschen ist das, als würden meine Füße einfach mal beschließen, heute grüne Cowboystiefel zu tragen. Und ich könnte nichts dagegen tun. Oft schämt man sich ja gerade für die Eigenschaften, für die man den Mann eigentlich besonders liebt. Wahrscheinlich log meine Mutter nur halb, wenn sie behauptete, die Fehltritte meines Vaters lustig zu finden; vermutlich liebte sie gerade seinen weltfernen Blick auf die Welt. Und trotzdem schämte sie sich tödlich für die Situationen, die daraus entstanden. Deshalb habe ich es auch aufgegeben, meinen Männern die Peinlichkeiten abzutrainieren. Natürlich könnte ich Christoph zum nächsten Geburtstag fünf blassblaue Krawatten schenken. Wahrscheinlich wäre ich aber unglaublich enttäuscht, wenn er beim nächsten Opernbesuch dann tatsächlich damit auftauchen würde.
Text: Jana Scheerer
BRIGITTE 22/2005