Hallo!
Ich (weiblich) führe seit etwas über einem Jahr mit meiner Freundin eine Fernbeziehung (600km). Wir sind beide 29. Ich studierend mit Teilzeitjob, sie im dualen Studium, hat vor Kurzem ihr schriftliches Examen gehabt und fängt zum Anfang nächsten Jahres im gehobenen Dienst an.
Die Beziehung ist bodenständig, aufrichtig und liebevoll. Wir sehen uns je nach Gelegenheit alle zwei Wochen, in „heißen Phasen“ liegen aber auch schonmal ein bis zwei Monate dazwischen. Die Zeit überbrücken wir mit Telefonaten, Skypen, Briefe, Päckchen, Whatsappen – niemand von uns vertritt die Ansicht, dass wir als Paar zu einem einzigen Individuum verschmelzen müssen, weshalb der Kontakt nicht einengend und trotzdem ausreichend ist. Wir sprechen über unsere Vergangenheit, über Niederlagen, Fehltritte und persönliche Entwicklungen und Anschauungen ganz offen.
Wir haben beide zerstörerische Erfahrungen mit depressiven und narzisstischen Partnerinnen gemacht und wissen sehr gut, was wir wollen und was nicht.
Kommen wir zu meiner Unsicherheit, was diese eigentlich solide Beziehung angeht. Ich komme nicht dahinter, ob meine Freundin evtl. eine Persönlichkeitsstörung hat oder nur einen sehr impulsiven bis cholerischen Charakter, der sich in der anhaltenden Prüfungssituation einfach etwas ausgeprägter zeigt als normalerweise.
Meine Freundin ist enorm gestresst, steigert sich schnell in unangenehme Situationen hinein und hat große Versagensängste, was ihr Studium angeht. Gleichzeitig strebt sie nach Bestleistungen, bildet sich, wo sie kann, lernt bis zum Unfallen, mag es deshalb nicht, wenn andere Menschen davon ausgehen, ihr würden gute Noten oder Erfolg in Schule, Studium und Beruf generell zufliegen. Sie macht viel dafür, das Beste und Meiste ist aber niemals gut genug. Sie sieht das als in Konkurrenzstehen mit ihrer Zwillingsschwester.
Deshalb waren die letzten Monate für sie verständlicherweise eine absolute Belastung. Ich habe ihr, so wie es mir möglich war, beigestanden und geholfen bzw. sie entlastet, wo es nur ging.
Vor Kurzem hatten wir aber eine wirklich heftige Auseinandersetzung, die von meiner Seite aus auf einem Missverständnis beruhte: nachdem ich einigen Leistungspunkten in meinem Studium hinterherlaufen musste, weil Dozenten sie noch nicht verbucht hatten, ergab ein Gespräch mit dem Prüfungsamt, dass ich in meinem Studium schon viel weiter bin als gedacht und ich zum Ende des Jahres meine Masterarbeit anmelden kann. Soweit so gut. Diese Info führte bei mir dazu, dass ich im Schnelldurchlauf mental die kommenden Monate durchdachte. Es steht zur Debatte, dass ich in ihre Stadt mit in die Wohnung ziehe, solange sie die Rotationsphase machen muss. Gleichzeitig empfinde ich ihre Zweiraumwohnung als etwas klein, da Küche, Ess- und Wohnzimmer ein Raum sind und es somit nur noch das Schlafzimmer mit Bett, Schrank und Kommode gibt, in das man sich zurückziehen kann. Ich würde nicht wollen, dass die Beziehung zwischen uns leidet, nur, weil die Rückzugsmöglichkeiten nicht da sind und wir uns ggfs. mit der Zeit auf die Nerven fallen könnten. Ich habe bereits einen kompletten Haushalt, da ich seit 8 Jahren alleine lebe und in ihrer Wohnung wäre für sehr vieles gar kein Platz. Gleichzeitig schaute ich nach Jobs, könnte natürlich irgendeinen in meiner Fachrichtung machen, es würde sich etwas finden, aber trotzdem habe ich Sorgen. Grundsätzliche Zukunftssorgen, die in diesem Moment einfach so meine Gedanken bestimmten.. eigentlich nichts schlimmes.
Meine Freundin merkte am Telefon an, dass ich müde klang, ob etwas sei und ich ihr erzählen soll, was in mir vorgeht. Das tat ich auch, ganz unaufgeregt. Im Endeffekt wollte ich vermutlich nur von ihr hören, dass ich mir darüber keinen Kopf machen muss, dass wir das irgendwie hinkriegen. Ich war halt kurz schwach und gab das auch zu.
Darauf folgte ein Regen an Vorwürfen, wie ich ihr in dieser Zeit so etwas mitteilen könnte. Ob sowas nicht Zeit für nach dem Examen haben kann, dass sie sich jetzt Gedanken um unsere Beziehung machen muss, dass sie jetzt diejenige ist, die das alleine „stemmen“ muss. Wie ich so naiv sein kann, zu denken, wir würden einfach so eine bezahlbare größere Wohnung finden (tue ich nicht). Ich versuchte mich zu erklären, immer ganz ruhig, da ich diese plötzlichen Wutausbrüche von ihr schon kenne (hauptsächlich, wenn ich ihr von etwas berichte, das mich beschäftigt) und mich da deeskalierend verhalten möchte.
Sie fing an zu schreien und zu schimpfen, bis ich langsam auch selbst wütend wurde, weil ich das Gefühl hatte, sie dreht mir aus eigenen Ängsten einen Strick. Daraufhin fielen ihrerseits so Sätze wie „ja, jetzt bin ich wieder Schuld!“ (habe ich noch nie zu ihr gesagt), „habe anderes von dir erwartet“, „habe dich scheinbar falsch eingeschätzt“, „an deiner Stelle würde ich das ganz anders machen. Ich würde zu dir fahren!“. Lauter Sachen, die mich echt verletzten und ehrlich gesagt auch schockierten, weil sie sonst die Liebenswürdigkeit in Person ist.
Letztendlich fuhr ich für nicht einmal 24 Stunden über Nacht zu ihr. Weil ich merkte, dass sie kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand.
Eine weitere, wirklich einschneidende Situation gab es, als sie mir nach einem wunderschönen Wochenende am Telefon mitteilte, dass sie nicht darüber hinwegkommt, dass ich den Abend vorher „Sex mit ihr hatte, obwohl sie das nicht wollte.“ Sie schimpfte erst und weinte dann. Das hat mich wie der Schlag getroffen, denn soetwas würde ich niemals tun. Sie hat den Sex initiiert, aber zwischendurch nicht gesagt oder mir vermittelt, dass sie an irgendeinem Punkt nicht mehr wollte. Sie meinte, sie konnte es nicht sagen. Ich kam mir vor, als hätte ich meine Freundin vergewaltigt und sagte ihr, wenn sie mich anzeigen wolle, würde ich dazu stehen. Das war furchtbar, ich war mit den Nerven runter und ich fühlte das erste Mal, dass diese Beziehung zerbrochen sein könnte. Auf meine Reaktion hin sagte sie nur ganz beschwichtigend, dass sie nicht ansatzweise daran gedacht habe, mich anzuzeigen oder die Beziehung zu beenden, dass es vermutlich nur ein Kommunikationsproblem war. Und schrieb mir, nachdem wir auflegten und ich apathisch an meinem Schreibtisch saß und mich vor mir selbst schämte, dass sie mich liebt. Das fühlte sich so paradox und falsch an. Ich war völlig verwirrt und verhielt mich in den darauffolgenden Wochen physisch eher zurückhaltend, sie hingegen machte weiter, wie zuvor, als sei nie etwas so einschneidendes passiert.
An einem anderen Wochenende hatten wir Besuch von einer Freundin von ihr. Alles war sehr schön, wir drei verstanden uns super, bis meine Freundin am letzten Abend beim gemeinsamen Feierabendbier aus dem Nichts meinte, dass ich „schon ziemlich rumeiern“ würde. Ich fragte nach, was genau sie damit meinte, aber sie sagte nur, ich würde generell rumeiern, ich würde so vieles wollen und mir so vieles vorstellen und dann letztendlich nichts dafür tun. Ich wollte konkretere Beispiele haben, die sie mir nicht nennen konnte, aber sie war mir gegenüber so angriffslustig, dass ich es dabei beließ. Als wir im Bett lagen, fragte sie, ob wir darüber reden wollten. Ich vermutete schon, dass dabei nichts Gutes herauskommen würde und wollte auch wegen des Besuchs keine Diskussion anfangen. Sie ließ nicht locker, ich sagte ihr, dass ich es ziemlich unfair finde, mir sowas zu sagen.. letzten Endes sagte ich ihr, dass sie mich nicht kennt, wenn sie mich so einschätzt. Daraufhin stand sie aus dem Bett auf und zog sich einen Pulli über. Ich fragte, was sie macht, sie sagte „Ich gehe jetzt und es ist mir scheiß egal, wie du das findest.“, und stürmte aus der Wohnung. Ich war verwirrt. Einfach nur verwirrt und verletzt und fragte mich, ob diese Beziehung sich zu einer toxischen Beziehung entwickelt.
Letztendlich klärten wir das irgendwie.
Und dann, vergangenes Wochenende, als ich bei ihr war, nachdem sie ihre letzte Examensklausur hinter sich gebracht hatte, war die Stimmung gut. Gelöst. Sie ist müde und ich habe für sie gekocht, sie massiert, alles versucht, damit die Anspannung der letzten Wochen irgendwie abfallen kann. Am Dienstagmorgen sind wir beide gleichzeitig aus dem Haus, sie zur Praxisstation, ich zum Bahnhof, um zurück in meine Stadt zu fahren. Kurz, bevor sie losmusste, fand sie ihren Mitarbeiterausweis nicht und wurde so hysterisch, dass sie Sachen durch die Gegend schmiss, brüllte und weinte. Es endete mit einer herausgerissenen schweren Schranktür, die auf die Fensterbank knallte und ein Stück davon abschlug. Da war so viel..Zerstörungswut, der sie einfach Luft machte..sowas kenne ich nicht. Ich konnte sie mit Mühe und Not beruhigen und sie fand den Ausweis im Wohnzimmer. Ich weiß, dass solche Ausbrüche natürlich mit dem Stress zu tun haben können, gleichzeitig hat sich mir so oft schon gezeigt, dass ihre Toleranz, was Frust und Kritik angeht, unheimlich gering ist. Sie ist ein lebendes Pulverfass. Das weiß sie auch selbst, sie sagt nach solchen Aktionen immer, dass das vermutlich an ihrem Vater liegt, der früher auch immer seine negativen Gefühle zu Hause ausgelebt hat, mit Türen knallen, Dinge zerstören, brüllen, auch schonmal schlagen. Sie entschuldigt sich immer und ich weiß, dass das ehrlich ist, aber mir machen diese Gefühlsausbrüche Angst. Teilweise auch diese (rein psychische) Angriffslust mir gegenüber, obwohl ich sie selbst nie abwerte, auslache oder ähnliches. Mich verwirrt das. Vor allem, die häufigen Liebesbekundungen danach.
Ich denke nicht, dass sie narzisstisch oder depressiv ist, die Empfindlichkeit führe ich auf den Stress und die Versagensangst zurück. Aber auch diese Hysterie und die Inkaufnahme, Dinge und Gefühle anderer kaputt zu machen..wie soll ein dauerhaftes Zusammenleben aussehen, wenn es mal nicht so gut läuft?
Sollte ich ihr raten, sich an jemanden zu wenden? Psychotherapie? Sie hat Angst, dass ihr das bzgl. ihres Berufs negativ ausgelegt werden könnte.
Danke fürs Lesen.