Ich war ein junger Mann, von sechzehn Jahren, halbstark, großkotzig, temperamentvoll, die Welt stand mir offen, ich hatte keine Verpflichtungen und keine Probleme. Ich erinnere mich an jede Kleinigkeit, als ich sie das erste Mal sah, es würde eine hundert Seiten lange Schilderung, würde ich nur über ihre knuffig-schöne Erscheinung schreiben, die mir vollkommen den Verstand nahm. Mir wurde schwindlig, ich wurde blind und wäre fast zusammengebrochen vor Intensität. Ich merkte, das Leben hatte seinen Anfang genommen.
Wir wechselten die Blicke, ich grinste sie an, sie lachte mich an, ich benahm mich wie ein Trottel und musste etwas tun, so sprach ich sie an. Es war schön, es war echt, es war die erste Liebe. In den nächsten Wochen fanden wir zueinander, endlose Gespräche in denen wir uns analysierten, uns näher kamen und uns selbst besser zu verstehen lernten. Es waren endlose Stunde voll Prickeln, Faltern und weichen Knien, und dieser Süße, kurzweilig endlos. Ich erinnere mich an einen lauen Sommerabend, wir spazierten zusammen durch die engen Gässchen unserer Kleinstadt, es war ein Abend voller Perfektion, in unseren Gesprächen, in unserem Sein und in allem um uns herum fühlten wir die Philosophie. Wir blieben stehen und blickten uns in die Augen, es war wie vor dem ersten Kuss, doch das Prickeln war aber zu stark, das Gefühl zu intensiv, ich war zu schwach, ich konnte sie nicht küssen, so sehr verknallt war ich in sie. Wir gingen weiter, lenkten uns ab, redeten weiter, spaßten und im unscheinbarsten Moment, mitten im Satz drehte sie sich zu mir und wir küssten uns. Wir waren jung und es war schön, wir hätten ewig jung bleiben sollen.
In den folgenden Wochen brach unser ganzes Leben auseinander, es war alles zu viel in unserem pubertären, jungen Dasein, wir brachten nichts mehr zu Stande in Schule und Leben und wir begannen irgendwann uns zu zanken und brauchten Abstand. Unsere Liebe zerbrach.
Ich fand mir langsam eine neue Umgebung, Zeit verging, doch ich erinnere mich glaube ich an keine Stunde, in der ich nicht an sie denken musste. Manchmal aus Zufall trafen wir uns noch, doch unsere Gespräche gingen nicht über leere Phrasen und Schweigen hinaus. So zogen die Jahre dahin, es kamen neue Beziehungen, manche kurzweilig, manch fester, man lebte und sammelte Erfahrungen. Sie ging mir aber nie aus dem Kopf.
Jahre später, durch eine gemeinsame Freundin, trafen wir uns wieder. Wir verstanden uns auf Anhieb, es war ein Abend mit einem Grinsen auf den Lippen, voll Prickeln und man spürte das Glück. Unsere Liebe war wieder am Anfang. In den folgenden Wochen lernten wir uns wieder kennen, wir führten nächtelange Gespräche bis in die Morgenstunden, waren da füreinander, brauchten einander. Doch unser Leben musste weitergehen, sie hatte über den Sommer geplant wegzugehen in ein fernes Land, wollte eine andere Sprache lernen und wollte die Welt sehen, ich musste bleiben und arbeiten konnte nicht so kurzfristig verreisen. Am letzten gemeinsamen Abend sprach sie über ihre Gefühle zu mir, sie waren weitaus stärker als damals, es war die echte, wahre Liebe, eine Liebe, so intensiv, dass sie uns schon fast Angst machte. Zu einem Kuss kam es nicht mehr, wir hätten Zeit gebraucht an diesem Abend, Zeit uns zu betrachten, uns neu zu entdecken, Zeit die uns davon lief. Sie musste los und ich ließ sie gehen. Und ich verlor sie.
Ich wartete auf sie, doch sie kam nicht zurück. An dem Tag an dem sie da sein wollte kam sie nicht und auch nicht die nächsten Wochen. Sie wollte neue Dinge sehen und hatte dort jemanden kennen gelernt. Sie hatte mich belogen. Als sie wieder zu Hause war, redete ich mir ein damit leben zu können, redete mir ein, offene Beziehungen haben zu können, aber es ging nicht, alles zerbrach, ich konnte so nicht leben, es war aus und ich brach jeglichen Kontakt zu ihr ab.
In dieser Zeit seelischen Ungleichgewichtes flüchtete ich mich vollkommen in die Obhut anderer Menschen, meine Familie und meine besten Freunde gaben mir vor, wie ich leben konnte, ich sah an ihrem Beispiel, wie ich einst mal sein konnte und versuchte durch sie wieder zu mir zurück zu finden. Doch in Wirklichkeit war ich nur ein Abbild von mir, ein lebloser Schatten, mehr tod als lebendig. Die Zeit verging und ich lernte und arbeitete wie nie zuvor, manchmal 14 bis 16 Stunden am Tag. Ich vollbrachte Taten, wie nie zuvor, baute bildlich ein Haus mit meinen eigenen Händen, mit meiner ganzen Kraft, mit meinem Blut und Schweiß und ich tat das alles nur für sie, wegen ihr, um sie zu vergessen.
Ich lernte langsam mit meinen Gefühlen umzugehen, fand langsam zu mir selbst zurück, hasste sie für was sie mir angetan hatte, musste mir das alles immer vor Augen führen, um von ihr weg zu kommen. Ich hatte seitdem keine Beziehung mehr, die länger ging als ein paar Tage und Nächte, Beziehungen, die irgendwie aus einem Zwang heraus entstanden sind und so schon von vornherein zum Scheitern verurteilt waren.
Jetzt noch immer muss ich oft an Sie denken. Die Zeit heilte aber meine Wunden, ich begann nicht mehr nur mit Wut an sie zu denken, ich begann ihr langsam zu vergeben. Was sie mir angetan hatte begann langsam zu verheilen und meine Liebe zu ihr blieb all die Zeit bestehen. Dies warf Fragen in mir auf, Fragen ob man jemanden, der einem so das Herz herausgerissen hat dennoch so abgöttisch lieben kann. Und ich kam letztendlich zu der Einsicht, dass es nicht sie ist, die ich noch so abgöttisch liebe, sondern der Glaube an die Liebe selbst, der Glaube an die Unendlichkeit, das wissen, dass solche Gefühle und solch eine Schönheit wirklich existieren können.
Aber dennoch habe ich niemanden mehr gefunden und jetzt frage ich mich, ob ich unfähig geworden bin, jemals wieder eine Beziehung haben zu können. Bin ich verrückt, oder zu dumm? Ich fange jedenfalls langsam wirklich an den Glauben zu verlieren und ich habe Angst, dass mein Herz vernarbt und der Glaube an die Liebe nach und nach vergeht.
Dies ist der Punkt, an dem ich stehe.
Wenn du es bis zum Ende durchgehalten hast und dies hier noch ließt, dann danke ich dir, dass du mir zugehört hast. Jetzt kennst du ein Stück von mir, von meinem Leben sei bitte nicht zu hart mit mir in deinem Urteil.