Liebes Forum,
ich (32) befinde mich mit meinem Mann (36) seit vier Monaten vor der Frage, ob, und wenn ja, wie unsere Ehe weitergeht.
Kurz zu uns: Wir sind seit 9 Jahren ein Paar und seit 5 Jahren verheiratet. Wir sind beide voll berufstätig (Ärztin/Anwalt), haben keine Kinder, besitzen eine vermietete Immobilie und wohnen selbst zur Miete.
Zwischen meinen Mann und mich passt kein Blatt Papier, es gibt kein Lebensthema, das zwischen uns steht (bspw.: Möchten wir derzeit keine Kinder), mein Mann ist verständnisvoll und ein sehr liebender Ehemann. Wir verstehen uns blind und sind meiner Ansicht nach ein super Team. Sein Intellekt zieht mich an, ich liebe es, wenn er für uns kocht, die Abende mit ihm und einem guten Glas Wein sind immer sehr schön. Er überrascht mich mit tollen Geschenken, wir machen schöne Ausflüge und haben bisher tolle Urlaube gemacht.
Wir haben ein Problem: Seit rund 2 Jahren haben wir keinen Sex mehr. Und das fehlt mir total, zumal ich oft genug die Möglichkeit gehabt hätte, fremd zu gehen und das Gefühl habe, dass mich viele andere Männer begehren. Ich habe einfach das Gefühl, dass er mich nicht attraktiv findet.
Nun wird es kompliziert: Wie gesagt, seit zwei Jahren haben wir das Problem mit dem Sex. Davor war alles relativ normal, am Anfang natürlich heißer, später mit mehr "Routine", aber das ist in gewissem Maße ja auch normal. Mein Mann hat mir geschildert, seit wann er Probleme hat, mit mir Sex zu haben: An einem Samstagnachmittag saß mein Mann in seinem Arbeitszimmer, schaute Bundesliga und spielte nebenher ein Computerspiel. Also so ein ganz normales "Männderding". An diesem Nachmittag begehrte ich unheimlich, weswegen ich ihm eine Freude machen wollte und in Reizwäsche sein Arbeitszimmer betrat, mich ihm von hinten näherte und meinen Arm um seine Schultern legte. Wir versuchten dann, Sex zu haben, aber es funktionierte bei meinem Mann nicht. Das an sich ist ja nicht schlimm, nur diese Situation hat bei meinem Mann leider etwas ausgelöst:
Wir wir jetzt zwei Jahre später wissen, wurde mein Mann in dieser Situation retraumatisiert. Tief in seinem Gedächtnis waren Dinge verboren, von denen er allenfalls ahnte, aber nicht wusste: Mein Mann wurde von seinem Großvater in seiner Kindheit wohl mehrfach sexuell missbraucht, insbesondere dann, wenn man Mann gerade am Spielen war.
Diese Erinnerungen kamen meinem Mann jedoch nicht sofort. Ich merkte seit diesem Ereignis jedoch, dass er weitere Eigenschaften entwickelte, die - wie wir jetzt wissen - klassische Begleiterscheinungen eines sexuellen Missbrauchs in der Kinderheit sind: Mein Mann fing an zu klammern, er isolierte sich von seinen Freunden, da ich sein einziger Fixpunkt war, er war sauer, wenn ich wochenends arbeiten musste oder mit Freundinnen ausgehen wollte. Er entwickelte Geiz, fing ständig an, über die Zukunft zu grübeln, wurde impulsiv, und hatte schlicht in allem Angst, die Kontrolle zu verlieren und dass es etwas Unvorhergesehenes passieren könnte. Mein Mann entwickelte mannigfaltige Ängste, zuletzt war es so schlimm, dass er noch nicht einmal mehr alleine zum Italiener gehen konnte, um dort bestellte Pizza abzuholen. Alles mussten wir zu zweit machen. Hinzu kam oft Streit. Ich hatte Probleme auf der Arbeit und musste meinen Arbeitgeber wechseln. Das hat uns kurzzeitig vor einen finanziellen und mittlerweile längst ausgewetzten Engpass gestellt. Ich hätte damals die Unterstützung meines Ehemanns gebraucht, aber er reagierte gereizt - wie wir jetzt wissen: Weil er Angst vor unvorhersehbaren Dingen und vor Kontrollverlust hat. Außerdem war er total schreckhaft und erschrak teilweise mehrmals am Tag nur wenn mal irgendwo in der Wohnung mal etwas geknackt hat oder so. Viele von den Eigenschaften hatte er schon immer, aber nicht so stark ausgeprägt, sodass ich sie nicht als pathologischen Zustand wahrgenommen habe, sondern oftmals als liebenswürdigen "Spleen".
Wir lebten dann eine ganze Weile mit den Problemen meines Mannes und verschlossen davor - das räume ich ein - auch unsere Augen. Aber die ganzen Probleme haben in mir sehr viel kaputt gemacht und ich sage auch ganz offen: Ich habe mich während der zwei Jahren Enthalsamkeit von meinem Mann sexuell entwöhnt und frage mich, ob ich überhaupt jemals wieder mit ihm Sex haben möchte.
Als wir das letzte Mal Sex hatte - das war im Juli vergangenen Jahren - war er sehr verkrampft und wirkte sehr angespannt auf mich. Ich meinte danach zu ihm, dass ich fast das Gefühl gehabt hätte, ihn vergewaltigt zu haben. Wenige Tage danach erlitt mein Mann einen Weinkrampf und war einem Nervenzusammenbruch zumindest sehr nahe. Auf einen Schlag löste sich in seinem Unterbewusstsein eine Schublade und mehrere Szenen mit seinem Großvater kamen zum Vorschein. Tatzeiten waren waren ungefähr im Lebensalter meines Mannes von drei bis ca. acht. Sein Großvater ist schon viele Jahre tot. Seit dem Tag befindet sich mein Mann in Therapie und es ist schon vieles besser geworden. Er klammert nicht mehr, kommt alleine klar, klingelt sogar bei neuen Nachbarn um "Hallo" zu sagen. Er ist selbständig und gibt mir den Freiraum, den ich brauche. Er suchte das Gespräch mit seinen Eltern, diese haben überrascht, aber verständnisvoll reagiert. Ich bin darüber sehr froh.
Problem ist derzeit, dass mein Mann absolute Probleme hat, Nähe zuzulassen. Selbst Berührungen am Arm sind ihm zuwider. Er schämt sich, bspw. nach dem Duschen nackt zu zeigen. Ergo: An Sex in der nächsten Zeit ist nicht zu denken.
Aber deswegen weiß ich nicht weiter, mir fehlt der Sex, irgendwie habe ich mir andererseits den Sex schon fast abgewöhnt. Gegenüber meinem Mann habe ich nicht das Gefühl, derzeit Sex mit ihm zu wollen, weil es der Normalzustand ist, keinen Sex mit ihm zu haben. Ich bin aber zu jung, um ein sexfreies Leben zu haben. Ich habe aber auch Angst, ihn zu verlassen. Er kann für seine Probleme nichts, ihm wurde schlimmes angetan. Er ist abgesehen davon ja auch ein toller Ehemann, ich kann mir keinen besseren vorstellen. Es passt ihm übrigen auch alles, mit unseren Familien, mit unseren Hobbies, wir haben ein fianziell sicheres Leben. Andererseits habe ich Angst, nur aus Gewohnheit bei ihm zu bleiben. Aber dem setze ich entgegen, dass ein Großteil von Liebe eben Gewohnheit und absolute Vertrautheit sind - und diese spüre ich. Manchmal denke ich, ich bleibe nur da, um keinen finaziellen Rückschlag zu erleiden, dann denke ich wieder an auch die tollen Dinge, die wir zusammen entdeckt und erlebt haben. Ich weiß einfach nicht weiter und suche bei euch Rat. Derzeit treibe ich exzessiv Sport und trinke zu viel Wein. Mir geht es einfach schlecht.
LG