kaylyn_12128469Damit wir hier vom gleichen reden:
Am belastendsten sind die z. T. völlig gegensätzlich wirkenden LeidensMus
ter: brüchiges Selbstwert, aber grandioses Größengefühl in Bezug auf die
eigene Bedeutung: Leistung, Talent, Ansehen, Schönheit, Reichtum, Bezie
hungen u. a. aber meist ohne entsprechende Grundlage. Dabei die Nei
gung, sich anderen überlegen zu fühlen und diese die Verachtung auch spü
ren zu lassen. Eigenartig auch die Phantasien von grenzenlosem Erfolg,
Macht, Glanz, Geist, Aussehen, idealer Liebe u. a. Und die Überzeugung,
einmalig, zumindest aber etwas Besonders zu sein und nur von anderen
großartigen Menschen als solcher erkannt, anerkannt, gefördert und be
wundert zu werden. Und nur mit diesen Kontakt zu pflegen, alles andere zählt
nicht.
Daher auch die allseits verwundert registrierte Anspruchshaltung oder unbe
gründete Erwartung, was die bevorzugte Behandlung, die überzogenen Wün
sche, Hoffnungen usw. anbelangt. Deshalb auch nicht selten die egoistische
Einstellung, ja die gnadenlose Ausnützung gegenüber anderen bis hin zu
ausbeuterischen Maßnahmen, um die eigenen Ziele durchzusetzen.
In besonders schweren Fällen, in denen der Betreffende wenig dazu lernen
will oder kann und damit letztlich in die Isolation gerät, kann es dann auch zu
Resignation, Niedergeschlagenheit, ja zu Angststörungen, Depressionen und
sogar Selbsttötungsabsichten kommen. In fremdaggressiver Hinsicht sind
mitunter auch (verzweifelte) Gewalttaten nicht ausgeschlossen.
Erschwerend ist zudem das gemeinsame Auftreten verschiedener Krank
heitsbilder auf einmal, d. h. eine narzisstische Persönlichkeitsstruktur zu
sammen mit anderen Persönlichkeitsstörungen (z. B. hysterisch, antisozial,
wahnhaft), mit der Aufmerksamkeitsdefizit/HyperaktivitätsStörung (ADHS),
mit Suchtkrankheiten (oft auch überkompensatorisch missbraucht, z. B. Alko
hol, Nikotin und/oder Rauschdrogen) u. a.
Die Diagnose ist schwierig, zumal auch viele Betroffene, vor allem bei grenz
wertigen Beeinträchtigungen, weder Arzt noch Psychologen aufsuchen.
Deshalb findet nur relativ selten eine Behandlung statt, die nebenbei zum be
lastendsten gehört (und zwar für beide Seiten), falls sie je zustande kommt.
THERAPIE:
Die Behandlung narzisstischer Patienten ist langwierig, mühselig und nicht
immer Erfolg versprechend, da diese Patienten dazu neigen, ihren Therapeu
ten abzuqualifizieren oder gar die Behandlung vorzeitig und dann auch noch
abrupt abzubrechen.
...
Und, fast noch wichtiger und schon mehrfach betont: In psychotherapeutische
oder gar psychiatrische Behandlung begeben sich solche Menschen meist erst
dann, wenn ernste Folgestörungen nicht nur drohen, sondern bereits schmerzli
che VerletzungsNarben, herbe psychosoziale Rückschläge und damit weitere
Symptome hinterlassen haben: Angstzustände, depressivresignierte Re
aktionen, ja suizidale Tendenzen (von dunklen Gedanken bis zu konkreten
Vorbereitungen), gelegentlich auch Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol,
Rauschdrogen oder bestimmten Medikamenten, vor allem aber hypochon
drische Krisen (diffuse Erkrankungsängste), hilflos anmutende Versagenszu
stände und insbesondere bei jungen Frauen anorektische Syndrome
(Magersucht)
Für nicht wenige Narzissten aber sind letztlich alle Bemühungen, Informa
tionen und Behandlungsstrategien wohl völlig nutzlos. Ihnen fallen höchstens
eine Menge von Leuten ein, auf die das genau zutrifft. Sie selber können
dabei überhaupt keine Verbindung zu ihrer Person, ihrem Schicksal, ihren
Problemen herstellen. Es ist schon manchmal zum verzweifeln, man möchte
nicht mit diesen Menschen tauschen (Seufzer eines offenbar frustrierten
Psychotherapeuten).
Trotz allem: Wenn was geschehen soll und der Patient scheint (erst einmal)
mitmachen zu wollen, dann stellt sich die Frage: welche therapeutische Strate
gie? Versucht man alle bisher gängigen Verfahren global zu beurteilen, dann
ist überall die gleiche Richtung zu spüren: einfühlende Akzeptanz (also das
Annehmen des ganzen Menschen, einschließlich seiner Fehler), aber auch
GrenzenSetzen um alltagsrelevante Korrekturen zu erarbeiten. Und Geduld,
Geduld und nochmals Geduld (einschließlich eines gerütteten Maßes an Frus
trationstoleranz) und die Gabe, sich nicht anstecken zu lassen.
Das hat Ch. Menges zu folgendem Vorschlag eines schuleübergreifenden Be
handlungsansatzes angeregt (kurzgefasst):
Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind keine einfachen
Patienten. Wie bereits mehrfach erwähnt, muss sich der Therapeut mit dem
ständigen Versuch seiner Abwertung oder gar Abqualifizierung auseinander
setzen (manchmal noch als herber Abschluss mit den Worten: anderen konn
ten Sie vielleicht helfen, mir aber nicht...).
Das macht das Durchhalten und vor allem Aushalten besonders schwer, vor
allem wenn man als Arzt oder Psychologe zu einer kontinuierlich zugewandten,
mitfühlenden und verstehenden Haltung verpflichtet ist. Eine pragmatische
(nüchterne, sach, praxis und anwendungsbezogene) Einstellung ist also un
erlässlich.
Dabei stellt sich auch gleich eine ganz spezifische Frage, nämlich: Soll es in
diesem Fall das unmittelbare Ziel der Therapie sein, störende Persönlichkeits
Eigenarten so schnell wie möglich zu verändern, um die zwischenmenschli
chen KonfliktSituationen rasch zu neutralisieren? Manche Experten sagen:
eher nein. Denn selbst ein solches soziales StörVerhalten hat ja bisher irgend
einen Sinn gehabt, wenngleich mit ungutem EndErgebnis. Vielleicht ist es so
gar unter den jeweiligen Entwicklungs und Lebensbedingungen des Betrof
fenen die beste aller möglichen Reaktionen. Das heißt: Diese Lösung war nicht
optimal, aber ein Kompromiss, zumindest bis jetzt, wenn auch inzwischen
durch individuelles Leid belastet und nicht mehr auszuhalten; deshalb auch der
Therapiewunsch.
Wichtig ist auch etwas anderes, das unerfahrenen Therapeuten meist erst zu
spät auffällt: Gerade narzisstisch Gestörte entwickeln immer wieder ge
schickt verpackt neue Ansprüche auf eine Sonderbehandlung. Wer diesen
Ausführungen bis hierher gefolgt ist, weiß inzwischen warum.
Wer solchen Wünschen also nachgibt, läuft in eine Falle. Natürlich werden
diese SonderWünsche therapeutisch begründet. Beispiele: Einzelzimmer in
der Klinik, Dauer und Häufigkeit der Sprechstunde, und zwar mehr als bei den
anderen, inhaltliche ThemenSteuerung durch den Patienten u. a.
Mit solchen Begehrlichkeiten ist fast grundsätzlich zu rechnen. Sie müssen alle
registriert und offen besprochen werden, wie vereinbart (s. o.).
Narzisstisch Gestörte sind schwierige Patienten, das kann nicht oft genug
wiederholt werden. Der Therapeut muss deshalb die schon mehrfach erwähnte
NarzissmusTrias durchstehen: empathisch verstehend respektvoll. Das ist nicht
einfach. Diese Menschen sind nicht nur leicht kränkbar und fühlen sich schnell
abgelehnt bis abgewertet, sie reagieren oft auch überschießend, und zwar
nicht nur gereizt, ärgerlich, wütend oder gar verletzend für den anderen, son
dern auch selbstgefährlich, also suizidal.
Das kann ganz schnell und ohne scheinbar besonderen Anlass geschehen; die
Tragweite des Anlasses entscheidet in diesem Falle ja ausschließlich der Pati
ent. Beispiele: Abwesenheit durch Urlaub oder Krankheit des Therapeuten,
vermeidbare Wartezeiten, als ungeschickt interpretierte Interventionen u. a.
Kurz: So etwas muss zuvor besprochen bzw. abgesprochen und bei manchen
Patienten immer wiederholt werden. Dadurch bleibt die therapeutische Situati
on halbwegs durchschaubar und berechenbar für beide.
Ein Punkt, der ebenfalls gerne zu zornigen Reaktionen führt, sind moralische
Aspekte, in welcher Form auch immer. So etwas können narzisstisch Gestörte
schon gar nicht vertragen, schäumen vor Wut und flüchten in ÜberRe
aktionen, was vom Angriff bis zur Flucht alles bereithält. Erfahrene Therapeu
ten sind deshalb schon bei angedeuteten Wertungen eher vorsichtig und ver
zichten auf moralische Interpretationen weitgehend.
Umgekehrt: Die vertrauensvolle Atmosphäre fördert die Zusammenarbeit und
der Therapeut gerät trotzdem auf dünnes Eis. Dies ist vor allem dann zu
erwarten, wenn der Patient zur ÜberIdealisierung neigt (so wie sie hat mich
noch niemand verstanden). Einmal davon abgesehen, dass auch Therapeuten
nur Menschen sind (und nebenbei im normalen BehandlungsAlltag nur wenig
echtes Lob bekommen), kann sich diese Entwicklung als Falle entpuppen.
Denn die Überhöhung kann auch in den freien Fall umschlagen oder konkret:
Bringt die wunderbare Zusammenarbeit auch einmal unvermeidliche Desillu
sionierungen mit sich, wird der Patient nicht nur ernüchtert, sondern verletzt
und damit ggf. böse.
Narzisstisch Gestörte können eine Lebensaufgabe bleiben, selbst nach
abgeschlossener Psychotherapie.