...Es war kurz vor Weihnachten als es bei mir richtig schlimm wurde. Meine Ehe schien zu zerbrechen und die Depression hatte mich längst fest im Griff. Ich glaubte, ohne es dramatisieren zu wollen, ich würde sterben. Ich wollte streben. Eine Zeit lange war das alles, was ich wollte. Oder vielmehr, ich hatte den brennenden Wunsch nicht mehr weiterleben zu müssen. Als ich mich immer mehr zu isolieren begann, sagte jemand zu mir dass es im Leben nur um Verbindungen geht. Und dass wenn wir nur zu einem einzigen Menschen Verbindung aufnehmen, der es wirklich versteht, dann wir denn ersten Schritt aus der Krankheit machen.
Schliesslich sass ich vor ihm, dem Mann zu dem ich eine Verbindung herstellen sollte und der es richtig verstehen sollte, ausserstande mit dem weinen aufzuhören, ausserstande noch zu funktionieren, irgendetwas zu tun.
Er war der leitende Arzt der Klinik in welcher ich arbeitete. Er ist es noch immer.
Wir redeten eine Weile. Oder vielmehr er stellte mir Fragen, und ich beantwortete sie. Nach meinem Schlaf (keinen), meinem Essverhalten (gestört), meiner Ehe (gescheitert), meiner Familie (besorgt), meiner Freunde (verloren), meiner Arbeit (überfordert), meines Vergnügens (nicht vorhanden), meines Schmerzes (zu viel), und der Hoffnung (nicht existent). Es war kein Gespräch. Vielmehr eine Auflistung von Situationen und Symptomen.
Wir wussten beide, ich stehe kurz vor dem Suizid. Und wir hatten eine Mission. Mich zu retten. Mit welchen Massnahmen auch immer. Der erste Schritt war dass ich wieder begann Psychopharmaka schlucken, eine ambulante Therapie wahrnehmen und mich von meinem Mann trennen sollte. Alle Drei Möglichkeiten eine Besserung meines Zustandes zu erzielen, scheiterten. Die Medikamente schlugen nicht an, der Fremde der sich Psychiater nannte, erkannte der Ernst meiner Lage nicht und der Versuch mich von meinem Mann zu trennen endete damit dass ich am nächsten Tag mit blauen Flecken bei der Arbeit erschein. Hoffnungslos gescheitert.
Aber zumindest war ich nicht mehr alleine. Er war da. Ich konnte jederzeit an seinem Büro klopfen und Er hatte selbst dann Zeit für mich, wenn er sie eigentlich nicht hatte, und dass half mir unheimlich. Es machte die ganze Situation, im wahrsten Sinne des Wortes, erträglicher.
Wenn wir zusammen auf Visite waren, durch die Patientenzimmer stolperten, Gedanken über deren Medikation und Diagnosen hin und herschoben, motivierte und lobte Er mich für meine gute Arbeit. Und Er hatte recht, es ist alles andere als Verständlich als schwer Depressiver noch Verantwortung tragen und Verpflichtungen übernehmen zu könne. Aber selbst als ich nicht mehr schaffte den Alltäglichsten Lebens Aktivitäten, wie einkaufen gehen oder Einzahlungen zu machen, nachzukommen, war ich bei meiner Arbeit immer noch Top. Ich liebte meine Arbeit. Ich liebe sie noch immer. Aber das war auch schon alles. Ansonsten war ich nämlich absolut emotionslos, liebte nichts und niemanden.
Und an dieser Unfähigkeit zu lieben zerbrach ich beinahe. Immer wieder verlor ich deshalb die Verbindung. Die Augen fielen mir immer wieder zu. Meine Nummer war wie besetzt. Oder ich war zu Müde sie andauernd zu wiederholen. Das Telefon war auf einmal wie tot. Kein Durchkommen. Keine Wahl Ton. Wo immer ich auch war, was ich gerade tat, kurz vor dem springen doch noch die Kurve kriegte, fast zu spät. Es gab mich nicht mehr. Und niemand konnte mir helfen.
Doch dann eines Abends, ich hatte gerade Schichtende und klopfte nur noch kurz an Seine Türe um eine Patientenakte abzulegen, zog Er mich an sich und küsste mich. Und ich küsste ihn. Und auch wenn der Rhythmus nicht von Anfang an stimmte, war es gut. Ich durfte berühren und berührt werden. Vor allem aber durfte ich erwachen aus meiner Emotionslosigkeit und ich konnte regelrecht spüren wie ich wieder fähig wurde Mensch zu sein. Es ging dabei nicht um etwas Physisches. Mein Verlangen nach ihm war mehr das nach einem Kleid, das man sich innig wünscht. Es ist nicht das Ding an sich, sondern dass, was es bei einem bewirkt. Ich wollte das was er in mir bewirkte. Es war eine Erleichterung das zu wissen. Wir redeten nicht darüber. Es gab nichts darüber zu reden. Es gab nur uns, diese Sache, mit der wir nichts anfangen und nichts ändern konnten. Ich konnte sie nicht einmal ignorieren.
Und dann verliebte ich mich. Verliebte mich absurd, krankhaft und katastrophal in jemanden in denn ich mich nicht hätte verlieben sollen. Ich hatte die Anziehung seit Wochen gespürt, aber nichts deswegen unternommen. Ich dachte sogar ich sie vielleicht dabei den Verstand zu verlieren, dachte ich würde mir alles nur einbilden. Dachte dass die Emotion die ich für ihn empfinde in diesem Ausmass gar nicht existieren kann.
Vergangene Woche trennte ich mich von meinem Mann. Es war nicht geplant. Ich kam nach Hause, putzte noch die Fenster, kochte Spaghetti und dann packte ich meine Koffer und verliess die Wohnung. Später schickte ich meinem Mann eine Nachricht; Ich gehe weg. Für immer. Oder zumindest für eine sehr lange Zeit.
Ich musste meinen Mann verlassen, für einen anderen Mann der nie der meiner sein wird, welcher ich nicht einmal besitzen möchte, sondern einfach auf eine Art und Weise liebe wie ich es meinen Mann nicht vermag. Und trotz dieser Erkenntnis, musste ich es tun, weil solange diese Liebe da ist, die Gefühle für meinen Mann nicht existent sind.
Ich wusste, dass was immer ich auch tu, egal was, völlig falsch sein wird.
Versteht mich nicht falsch. Ich bin froh, nein nicht froh, überglücklich, dass es passiert ist, passiert, passieren wird. Aber Inzwischen nimmt diese ganze Verliebtheit an einem Anmass an, dass eine zerstörerische Wirkung auf mich hat.
Ich sprach Vorgestern lange mit Ihm. Berichtete dass ich mich von meinem Mann getrennt habe und wir versuchten die Situation zu analysieren und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um einen totalen Zusammenbruch meinerseits abzuschwächen. Denn dieser kommt bestimmt. Im Moment befinde ich mich noch in der Schockphase, jegliche Emotionen prallen an mir ab, aber er wird kommen, der Moment, in dem ich realisiere was wirklich passiert ist und dann kann ich für nichts mehr garantieren.
Unsere Beziehung, die zwischen mir und dem Leitenden Arzt, ist nach wie vor sehr professionell, auf den Sachverhalt bezogen und die Ansätze die er mir gibt bereichern mich. Er hat keine Ahnung davon, welche Verschiebungen sich in mir angebahnt haben. Und ich gebe mir auch große Mühe dass das so bleibt. Trotzdem steigere ich mich immer mehr in das alles hinein, bewege mich durch meine Höhen und Tiefen hindurch, mit rationaler Bewusstheit und gleichzeitig mit tiefer Betroffenheit. Ich weiss dass das Erleben mit dem Arzt gerade wichtig für mich ist, um mich zu spüren aber gleichzeitig weiss ich auch dem einen schrecklichen Absturz folgen könnte.
Ich versuche meinen Verstand über meine Sehnsucht zu stellen, aber ich liebe ihn, oder das Gefühl das er in mir auslöst, uneingeschränkt. Wenn es so etwas wie völlige, allumfassende Liebe für einen anderen Menschen oder ein Gefühl gibt, dann empfinde ich sie für das.
Was soll ich tun?
Sehnsucht18