Hallo zusammen,
ich möchte mal über etwas sprechen und eure Meinungen einholen, was meine Beziehung betrifft. Ich habe in den letzten Wochen mit einigen mir nahen Menschen persönlich darüber gesprochen, aber ... wirklich weiter bin ich dennoch nicht.
Ich bin seit einer kleinen Ewigkeit mit meiner Freundin in einer monogamen Beziehung. Über 13 Jahre. Und ein Problem, das ich schon nach einigen Jahren als Problem erkannt hatte, war, dass wir uns zu früh kennengelernt haben. Wir waren beide sehr jung, sie hatte vor mir erst einen festen Freund, und von dem, was sie so erzählt hat, war das eher ein schlechter Witz als ne Beziehung.
Klar, man weiß nicht, dass man mit dem Nächsten, mit dem man zusammenkommt, eine Ewigkeit zusammenbleiben wird - fast das halbe eigene Leben. Manchmal kommt es eben so. Ich hatte vorher auch nicht allzu viel Erfahrungen gesammelt, aber zumindest drei Beziehungen geführt, die längste davon immerhin ein halbes Jahr.
Jedenfalls ... irgendwann ... ging beim Sex der Lack ab - nicht jedes Mal, es gab auch nach 7, 9 oder 11 Jahren noch leidenschaftlichen Sex, in dem man komplett aufgeht und sich fallenlässt. Aber oft ist der Sex ein Standardprogramm: Ich bringe sie zum Orgasmus, danach sie mich, beide befriedigt, vorbei.
Und der Sex wurde weniger (was glaub ich auch recht normal ist und häufig vorkommt in Langzeitbeziehungen). Nach ein paar Jahren immerhin noch jede Woche, nach sehr vielen Jahren ... eher einmal im Monat, durchschnittlich. Und nach dreizehn Jahren ... war komplette Flaute im Bett. Es ist nicht so, dass ich nicht gewollt hätte. Ich habe auch versucht, besondere Momente für uns zu schaffen, Romantik und das Drumherum, aber ... sie hatte keine Lust. Wir sind da immer recht offen miteinander umgegangen - wenn sie nicht wollte, musste sie das nur sagen und nicht irgendwas Doofes vortäuschen.
Das ging drei Monate lang so ... ich dachte, es wäre vielleicht eine Phase. Kannte ich von mir selbst. Alle paar Jahre gab's bei mir mal so Phasen, wo man sich Veränderung wünscht. Wo man denkt: Mal ausbrechen. Das wäre toll. Mal mit jemand anderem schlafen. Das wäre ... Wow.
Ich sprach sie nach drei Monaten ohne Sex darauf an, wollte wissen, was in ihr vorgeht, das ... dazu führt. Sie konnte es nicht beantworten, aber sie sagte mir, dass es OK für sie sei, wenn ich stattdessen mit einer anderen Frau schlafen würde.
Da war ich etwas baff. Und auch etwas gekränkt. Ich war nicht so lange treu, nur, um mir Sex außerhalb der Beziehung zu holen, sobald ich von ihr eine "Erlaubnis" dazu bekomme. Klar, ich hätte schon gern mit ner anderen Frau geschlafen. Gesagt habe ich das aber nicht, sondern, dass ich mit *ihr* schlafen möchte, nicht mit irgendeiner anderen Frau.
Drei weitere Monate ohne Sex vergingen. Und ich hielt es nicht mehr aus und musste wissen, wie es um uns steht. Ich dachte natürlich daran, dass sie einen andern hat, oder jemand anders liebt - irgendwas in der Art.
Aber was sie sagte war: Sie hätte das Verlangen, sich auszutoben. Sie hatte nie die Gelegenheit. Sie war so jung, als wir zusammenkamen. Sie hat alle sexuellen Erfahrungen nur mit mir gemacht ...
Ich fand das unglaublich mutig. Und war auch stolz auf sie, dass sie es schafft, sowas auszusprechen. Mir ins Gesicht zu sagen, dass sie mit anderen Männern schlafen will - und mir auf der anderen Seite natürlich die Freiheit gibt, mit anderen Frauen zu schlafen.
Ich habe ohne zu Zögern gesagt: Ja, dann machen wir das. Toben wir uns aus, mit der Erlaubnis des anderen.
Und wie sich heraus stellte, hatte sie schon sehr lange über all das nachgedacht. Seit über einem Jahr - und davor auch schon, phasenweise.
Deswegen hatte sie auch schon einen kompletten "Schlachtplan" im Kopf, wie das funktionieren könnte. Lauter Dinge, an die ich erstmal gar nicht gedacht hätte. Dass unsere gemeinsame Wohnung eine Tabuzone sei. Dass alle Sexgeschichten mit anderen Menschen bei einem selbst bleiben und Privatsache sind. Und so weiter.
Als ich mit ihr über all das sprach und zugestimmt hatte, eine offene Beziehung zu führen, hatte ich zehntausend Möglichkeiten im Kopf, was ich alles nachholen wollte. Einfach am Wochenende mit Freunden durch Bars und Clubs ziehen und flirten. Und gucken, wo das Flirten hinführt. Und es dürfte - überall hinführen. So etwas hatte ich seit fast vierzehn Jahren nicht mal mehr gedacht. Und auf einmal waren die Möglichkeiten da.
Die nächsten Wochen waren allerdings alles andere als Party machen und Frauen abschleppen für mich. Sekündlich schießen mir zehn Milliarden Fragen durch den Kopf. Ich habe im einen Moment Liebeskummer, der so heftig wütet, als wäre ich wieder 16. Und drei Stunden später bin ich stolz darauf, dass wir so offen mit dem Thema umgehen und zu 100 % überzeugt, dass es das Richtige ist.
Ich habe seitdem jedenfalls noch nicht den Wunsch gehabt, wegzugehen und zu gucken, was passiert, zu flirten, knutschen, vielleicht sogar nen One-Night-Stand an Land zu ziehen. Das war etwas, das ich mir jahrelang gewünscht hatte - aber es fühlt sich in der Realität plötzlich so anders an als auf dem Papier.
Meine Freundin hat, denke ich mal, mittlerweile schon "Erfahrungen" gesammelt, seitdem wir den Startschuss für die offene Beziehung gegeben haben. Ich bin mir nicht sicher, sie möchte ja, dass wir diese Sachen für uns behalten, aber ich denke, dass es schon soweit war. Es hat am Anfang leicht im Bauch gestochen, wenn ich daran gedacht habe, aber andererseits freue ich mich auch für sie. Es ist ja toll, dass sie endlich Erfahrungen machen kann, die ihr auf Grund blöder Monogamie-Gebräuche vorenthalten geblieben sind.
Nun ... nach ein paar Wochen des Nachdenkens war ich plötzlich der Meinung, dass es vielleicht die beste Idee sei, Schluss zu machen. Wenn sie mich nicht mehr liebt, wozu dann dieses Gedöns?
Ich sprach mit ihr darüber, fragte sie, ob sie das nicht auch für den besseren Weg halte. Woraufhin sie mir sagte, ich wäre so dumm: Sie hätte über ein Jahr über all das nachgedacht, und sie hat mich weder betrogen, noch mit mir Schluss gemacht. Und ich, der ich seit drei Wochen darüber nachgrüble, weiß die tolle Lösung: Schluss machen. Ihre Gefühle für mich seien noch da - nur seien da eben auch noch diese anderen Gefühle, dieses andere Verlangen. Sie wolle nicht mit mir Schluss machen, und das hätte ich doch eigentlich merken müssen ....
Danach war ich SO klein mit Hut. Ich meine ... das ist schon krass. Wie lang sie das mit sich rumgeschleppt hat. Dass sie sich nie traute, mir davon zu erzählen. (Was auch ein bißchen logisch ist ... wir haben mal, als wir noch jünger waren, über's Fremdgehen gesprochen, und ich habe ihr gesagt, dass das für mich ein No-Go ist und zum sofortigen Beziehungs-Aus führen würde, egal unter welchen Umständen es geschieht. Nach so vielen Jahren ändert man sich selbst und seine Einstellungen, aber ich hab ihr nie mitgeteilt, dass ich ihr vielleicht sogar verzeihen könnte, wenn sie fremd ginge ...).
Sie hat all das in sich reingefressen und über so lange Zeit mit sich selbst ausgemacht, sich niemandem anvertraut, mit keinem Menschen darüber gesprochen.
Keine Ahnung, wie sie das ausgehalten hat. Ich spreche mit all meinen engen Freunden und Freundinnen darüber, weil es einen einfach dermaßen erleichtert, das mal rauszulassen.
Nun, da stehe ich. In mir tobt ein Sturm. Ich weiß nicht, ob das funktionieren kann. Wird sie wieder mit mir schlafen wollen, wenn sie neue Erfahrungen gemacht hat? Wird sie dann das Alte anders wahrnehmen, vielleicht mehr schätzen? Kann das überhaupt gutgehen?
Wir haben uns bis zu dem Tag, als das Thema Offene Beziehung plötzlich aufkam, immer perfekt verstanden. Körperliche Nähe war nie ein Thema. Kuscheln, küssen, im Arm halten - das Standardprogramm verliebter Pärchen hat bei uns auch nach so vielen Jahren noch dazugehört. Wir haben uns nie gestritten, weil wir immer beide lieber nach Kompromissen gesucht haben, damit jeder von uns glücklich ist.
Ich würde jetzt so gern mit ihr offen über alles diskutieren. Über die offene Beziehung. Über die Regeln, die man vorab besprechen sollte.
Doch wenn ich damit beginne, ist sie genervt und verschließt sich mir, sagt mir, dass sie schon so lange, so viel darüber nachgedacht hat, dass sie keine Lust hat, das alles nochmal zu klären.
Aber ... ich habe nicht so lange darüber nachdenken können wie sie. Ich hätte gern darüber geredet, ob es nun besser ist, wenn jeder alles im Geheimen macht, oder ob man einfach darüber spricht hinterher. Natürlich nicht über alle Details - aber dennoch drüber redet.
Ich fühle mich einerseits, als wäre mir hier etwas aufgezwängt worden - aber nicht die offene Beziehung an sich, sondern der Rahmen außenrum. Ich fühle mich ein klein wenig vernachlässigt, weil ich die Entscheidungen nicht mit ihr zusammen treffen konnte. Sehr wichtige Entscheidungen.
Ich weiß nicht, welchen Reim ich mir auf all das machen soll. Das ist Terra Incognita, mir völlig unbekanntes Land. Mein Kopf sagt: Offene Beziehung, super! Mein Herz sagt: Willst du das? Kann das gehen? Kann das auch nur ansatzweise funktionieren? Oder geht sowas nur genau so lange gut, bis einer von beiden plötzlich ein Kribbeln im Magen verspürt, wenn er beim Auswärts-Sex ist? Bis Kopf UND Herz sagen: Ich möchte mit jemand anderem zusammensein?
Ich liebe sie. Sie liebt mich anscheinend auch.
Und ich habe ... keine Ahnung.