Liebe Bossanova
Deinen Beitrag musste ich wirklich 2 mal lesen und drüber nachdenken, bevor ich antworten wollte. Schwierige Situation und sehr schwierig zu beurteilen. Aber ich versuche es trotzdem ohne dich zu verärgern.
Das Fussballtraining scheint ja fester Bestandteil im Alltag deines Mannes zu sein. Wäre es nicht ausgefallen, hättest du die Medikamente und die Anwesenheit deines Mannes zu einem späteren Zeitpunkt toleriert?
Wenn man jetzt die ganze Geschichte nur nach Fakten beurteilt ohne Gefühle (ich weiss, es ist schwer) nimmst du das Wort Scheidung in den Mund wegen 90 min Verspätung. Das ist schon irgendwie hart.
Mir ist durchaus klar, dass es dir nicht gut ging und du dich in der Zeit wahrscheinlich maßlos geärgert hast, während es du zuhause gewartet hast und er gedankenlos *seinen Spaß* hatte. In meiner Beziehung gibt es auch Momente, in denen ich denke: "Wenn er das noch einmal macht, ziehe ich morgen aus! Er WEISS genau, dass ich das nicht gut finde. Warum schnallt er es nicht?!" und letztendlich muss ich eine Nacht drüber schlafen und merke, dass ich mich über *Kleinigkeiten* aufgeregt habe, in die ich mich mit meiner Grübelei reingesteigert habe. Oder falsch kommuniziert habe.
Wenn du sagst, es ging dir auf der einen Seite schlecht, aber du konntest noch das gemeinsame Abendessen vorbereitet, wirkt das nicht so pflege- und hilfsbedürftig, dass die Anwesenheit deines Mannes dringend erforderlich gewesen wäre. Es wäre schön gewesen, ganz klar, aber eben auch optional.
In solchen Punkten hab ich gelernt auch Männer zu verstehen und so zu nehmen wie sie eben sind. Männern fehlt von Natur aus eine gewisse (für uns selbstverständliche) Fürsorge. Ich glaube nicht mal, dass sie das böse meinen. Es scheint einfach von der Natur aus nicht angelegt worden zu sein im männlichen Wesen. *Händchenhalten* im Krankheitsfall liegt ihnen einfach nicht und der Sinn darin wird dementsprechend nicht erkannt. Überspitzt ausgedrückt.
In deinem Beitrag höre ich sehr viele Vorwürfe. Vielleicht versuchst du mit deinem Mann nochmal komplett anders über dieses Thema zu sprechen. Ohne Vorwürfe. Versuche ihn auf der Sachebene zu erreichen (das funktioniert meist fantastisch bei Männern). Argumentiere z.B. dass das Fehlen der Medikamente sehr belastend für dich war. Das ist etwas, dass die meisten Männer eher verstehen.
So bekommst du deinen Mann wenigstens dazu, dass er dir die Medikamente vorbeibringt bevor er was trinken geht und du nicht ewig warten musst.
Meiner Erfahrung nach sind Männer einfach auch sehr schnell überfordert mit einer Krankheitssituation. Wenn sie was aktiv *machen* können, ist es okay (Medikamente ranschaffen, einkaufen). Wenn sie aber nur anwesend sein sollen, Trost spenden, Anteil nehmen usw. sind sie endlos überfordert und wissen nicht wie. Und drücken sich dann eher vor der Situation. Das wirkt dann häufig gefühlskalt und emotionslos, passiert aber meist aus dem einfachen Grund, dass Männer das halt nicht so können wie wir Frauen.
Und Verständnis in einer Beziehung sollte gegenseitig passieren - und nicht, dass nur der Mann sich in die Frau reindenkt und frau denkt, dass der Mann schon ähnlich ticken wird wie sie selbst. Ist nämlich leider nicht so.
Die Geschichte mit dem Neffen auf der Intensivstation wirkt ja auf den ersten Blick bitter und traurig, war aber schon ganz richtig gedacht von deinem Mann. Ich weiss nicht ob der Neffe nur geschlafen hat oder sich gefreut hätte. Mein Lebensgefährte arbeitet selbst auf ner Intensivstation und kommt täglich nicht Hause und regt sich über die Horden an Besuchern auf, dass sämtliche Tanten, Onkels, Cousins und und und zu den Patienten wollen, und er und seine Kollegen die Besucher nur noch auf den engsten Familienkreis beschränken müssen zur Stresslimitierung des Patientens.
Er meinte mal, die Pflege und Ärzte würden schon den ganzen Tag soviel an den Patienten rumdoktoren (Stress), und Nachmittags kommen noch 5 -10 Besucher. Das sei ein Stressfaktor, den man intenstivpflichtigen Patienten nicht zumuten kann und sollte.
Ein aufrichtig besorgter Anruf bei den Eltern des Kindes, um sich nach dessen Befinden zu erkundigen, wäre dementsprechend sehr viel angemessener, auch wenn der erste Impuls ist, dass man doch persönlich anwesend sein müsste.
Ich hoffe, ich konnte dir etwas hilfreichen Input geben.
Liebe Grüße,
Moni