Ich hatte mit einem guten Freund eine sehr spannende Diskussion: Er behauptete die heutige Gesellschaft habe die Evolution ausgetrickst. Heute überleben behinderte, kranke, schwache Menschen, die früher in früher Kindheit gestorben wären oder teilweise von ihren Familien ausgesetzt wurden, damit sie der Familie nicht zur Belastung werden. Und die Menschen werden alt wie nie zuvor, durch ihr Überleben sei die Evolution überwindet, das "schlechte Erbgut" würde gar nicht vom "besseren" selektiert.
Ich musste heftig widersprechen. Zunächst wurde sich immer schon, wenn möglich, auch um schwache und kranke Menschen gekümmert. Zudem hängt es von den Lebensverhältnissen - und damit von der hygienischen, ernährungsbedingten und medizinischen Situation - ab, wie alt die Menschen werden und wie gesund sie dabei sind. Im "alten Rom" mussten Senatoren mindestens 60 Jahre alt sein, das galt als angemessenes Alter. Viele der einflussreichen und wohlhabenden Personen wurden allerdings wesentlich älter. Alter spielt meines Erachtens für die Evolution sowieso keine Rolle.
Deswegen zum wichtigsten Punkt: Ich habe meinem Freund entgegnet, er habe die Evolutionstheorie nicht verstanden. Es geht überhaupt nicht ums Leben, es geht ums "Überleben". Und daran hat sich heutzutage rein gar nichts geändert zu den damaligen Verhältnissen. Überleben bedeutet, dass ein Mensch sich selbst überdauert; das bedeutet, dass er Nachkommen hat, die sich wiederum vermehren. Ein Mensch, der keine Nachkommen hat oder dessen Nachkommen ohne eigene Nachkommen sterben, "überlebt" nicht. Das ist eine wesentliche Tatsache.
Heutzutage gibt es auf dem "Partnermarkt" viel engere, anspruchsvollere Kriterien. Ein behinderter, kranker oder im gesellschaftlichen Sinne schwacher Mensch hat es ungleich schwerer einen Partner zu finden und Kinder zu bekommen. Dadurch gibt es eine Selektion, die eben nicht mehr durch eine höhere Sterblichkeit in den frühen Jahren des Lebens festgelegt ist, sondern die sich auf die Weitervermehrung verlagert.
Dazu, das wäre mein zweiter Ansatz, muss man die Menschheit aus evolutionären Gesichtspunkten als "Ganzheit", vielleicht als Organismus, betrachten: Es bekommen einfach die Menschen Kinder, die dazu in der Lage sind und einen Partner finden. Bei anderen Menschen findet man Lösungen (zum Beispiel durch die Reproduktionsmedizin) oder sie tun ihr Übriges für den Organismus, sie leben also, um durch beispielsweise ihre Steuern und ihre Arbeitsleistung diejenigen Menschen zu unterstützen, die Kinder bekommen. Damit überlebt die Menschheit als Ganzes, als Gesellschaft und so leben wir doch auch ausgesprochen gut damit, da auch so viele Überschüsse erwirtschaftet werden, dass wir ohne weiteres unproduktive Menschen nicht nur ertragen können, sondern sie auch aktiv einbinden und unterstützen, sodass sie ihren Weg in den Glück finden können.
Was denkt ihr darüber? Kann die Evolutionstheorie überhaupt auf eine moderne, menschliche Gesellschaft angewandt werden? Haben wir sie überwunden? Oder liegt mein Freund mit seinen Behauptungen falsch?
Ich freue mich über eure Gedanken zu dem Thema. :-)