Ich denke ich stelle mich erst mal ein wenig vor - soweit nötig und möglich. Auch wenn ich meist sehr selbstbewusst wirke bin ich im Grunde ein zutiefst unsicherer Mensch. Ich bin mir durchaus meiner Stärken bewusst, ich sehe wirklich gut aus, bin intelligent, habe studiert, einen respektablen Job, aber ich kann privat einfach nicht gut mit Menschen umgehen. Ich fühle mich unsicher in ihrer Gegenwart, klein und beobachtet, überspiele das aber immer ganz gut. Meistens gelingt das auch. Wenn ich mich irgendwie auf die Situation einstellen kann und weiß was auf mich zukommt. Ich bereite mich mental oft zu Hause vor dem Spiegel vor und spiele im Geiste ein und die selbe Situation immer wieder durch, mit unterschiedlichen Parametern und unterschiedlichem Ausgang. Das gibt mir ein Gefühl von Sicherheit und ich schaffe es Souveräner zu wirken. Seit einigen Jahren lebe ich in einer festen Beziehung. Die läuft eigentlich wunderbar. Mein Partner und ich verstehen uns großartig, lachen viel, streiten auch mal, können aber nicht lange eingeschnappt oder böse aufeinander sein. Nur, dass mein Partner schrecklich viel arbeitet. Er ist der Inbegriff eines Workaholic! Wir arbeiten noch dazu in der gleichen Firma, gehen morgens gemeinsam zur Arbeit und irgendwann spät abends nach Hause. Unser Privatleben beschränkt sich, nach so viel Arbeit, meist auf Couching und ähnliches.
Auch am Wochenende arbeiten wir beide meistens. Er ist allerdings oft beruflich unterwegs. Durch die viele Arbeit habe ich den Kontakt zu vielen Freunden verloren. Es wird den Menschen manchmal einfach zu blöd, was ich total nachvollziehen kann. Aber irgendwie reichen mein Partner und ich uns auch. Wir haben wie so eine Art Paralleluniversum, in dem wir existieren und eigentlich ganz zufrieden damit sind. Im Grunde sieht jeder Tag gleich aus und es gibt kaum etwas unerwartetes in unserem Leben. Wir sind ein Team und bislang gab es auch nichts, was zwischen uns hätte kommen können. Doch im letzten Frühling hat es mich eiskalt erwischt.
Ich habe vor knapp zehn Monaten bei einer Veranstaltung in Berlin freiwillig geholfen. Nach der Vorbesprechung ging ich noch einmal nach Hause um mich umzuziehen und mich zurecht zu machen. Mein Partner war wieder einmal beruflich in einer anderen Stadt, von daher nehme ich solche Gelegenheiten immer gerne, um mir die Zeit zu vertreiben und nicht alleine zu sein. Arbeiten ist immernoch besser als einsam und verlassen zu Hause zu hocken. Gerade als ich zur Tür des Veranstaltungshauses hinaus ging, kam mir ein Mann entgegen. Ich beachtete ihn nicht groß, doch registrierte das er echt gut aussah, trainiert, hübsches Gesicht - aber mehr Aufmerksamkeit hatte ich nicht übrig. Hübsche Männer gibt es wie Sand am Meer und außerdem war ich etwas in Eile. Ich selst sah echt trist aus: Jeans, Turnschuhe, schlampiger Pferdeschwanz... Doch aus dem Augenwinkel merkte ich, wie er im Vorbeilaufen Notiz von mir nahm und mir hinterher sah. Typen sind manchmal echt komisch...
Als ich dann ein paar Stunden später wieder bei der Verantaltung ankam ankam stellte sich heraus, dass der Mann ebenfalls einen Job dort hatte und den ganzen Abend unmittelbar im gleichen Areal wie ich arbeiten würde. So standen wir also da, kaum drei Meter von einander entfernt. Irgendwann kam er glaube ich zu mir und stellte sich vor. Wir redeten ein wenig über belangloses Zeug und er kam mir immer näher, bis seine Brust meinen Arm berührte. Ich war sofort wie elektrifiziert, der größte Teil meines Verstandes setzte aus. Wir flirteten etwas - dann etwas mehr. Den ganzen Abend hatten wir Augenkontakt, ich wusste gar nicht wie mir geschieht. Wir wirkten wie zwei Magnete aufeinander. Ich war einerseits total angefixt andererseits total unsicher und hatte ein schlechtes Gewissen meinem Partner gegenüber - und IHM gegenüber. Aber ich konnte es auch nicht bleiben lassen. Ich konnte es einfach nicht. Er hatte mich (zum Glück) auch nicht gefragt, ob ich in einer Beziehung wäre, und ich hatte Angst ihm das zu sagen und damit seine äußerst angenehme Aufmerksamkeit und Zuwendung zu verlieren. Doch in meiner Unsicherheit übertrieb ich es leider auch hin und wieder. Ich war teilweise sehr frech, geradezu unverschämt, einmal auch fast beleidigend, aber doch eher neckend.
Später bekam ich irgendwann Rückenschmerzen - Achtung Klassiker - er begann sofort mir den Nacken und den Rücken zu massieren. Das haute mich dann völlig aus der Bahn. Nur ein kleiner Rest rationaler Verstand bewahrte mich vor dem Schlimmsten, und es ging über diese Berührungen nicht hinaus. Glücklicherweise kamen etwas später auch noch ein paar Bekannte vorbei, die mich ablenkten. Naja, ein wenig zumindest. Aber ich war SEINER Anziehungskraft immerhin nicht mehr so schutzlos ausgeliefert.
Der Abend ging vorbei und wir verabschiedeten uns schließlich. Ohne Kontaktdaten auszutauschen. Ohne auf ein Wiedersehen anzuspielen. Als ich ins Taxi stieg deutete er nur irgendwie an, gerne mitkommen zu wollen, aber er müsse noch arbeiten. Ich konnte es mir nicht verkneifen ihm noch einen Spruch zum Abschied mitzugeben, ich war ja quasi sicher: "Das traust du dich doch eh nicht." Im Grunde wollte ich sagen "das traue ICH mich eh nicht". Aber woher hätte er das wissen sollen.
Einige Tage später fand eine - nennen wir es mal Nachbesprechung - statt, die ich mitorganisierte. Ich erwartete nicht, ihn dort zu treffen. Es bestand nicht wirklich Notwendigkeit für Ihn dort zu erscheinen. Doch er war da. Und mein Parnter diesmal auch! Allerdings war der schwer beschäftigt - wie immer. Ich sah mir - bis auf einige wenige Momente - die Veranstaltung vom Rande aus an. In SEINER Nähe. Wieder konnte ich mich seiner Anziehungskraft nicht entziehen und er sich meiner nicht. Er setzte sich neben mich auf eine Bank. So nah, dass unsere Schenkel sich berührten. Ich wusste ja selbst nicht, wo das Ganze hinführen sollte. Aber ich konnte einfach nicht aufhören. Es war wie ein Sog, wie Schwerkraft! Unglaublich.
Irgendwann später, die Veranstaltung ging vom offiziellen Teil über in ein nettes Zusammenstehen, kam mein Partner zu mir. Er freute sich über eine gelungene Veranstaltung und küsste mich dabei flüchtig auf den Mund. ER war zu dem Zeitpunkt nicht in meiner Nähe, es ist aber durchaus möglich, dass er es gesehen hat. Wahrscheinlich sogar. Er kam etwas später und verabschiedete sich von mir. Wobei er mich etwas länger als nötig ansah. Meine Hand blieb einen Moment länger als nötig auf seiner Brust liegen. Irgendwie wussten wir, dass das jetzt der Abschied war. Das Ende unseres Tête-à-têtes. Und das ist eigentlich auch gut so. Wohin verdammt nochmal hätte das führen sollen?
Trotzdem bekomme ich diesen Mann bis heute nicht mehr aus meinem Kopf. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke, mich nicht in Gedanken von ihm verführen lasse. Es ist nicht mehr auszuhalten! Im Herbst habe ich ihn noch einmal kurz auf einer anderen Veranstaltung gesehen, er mich auch. Doch er war eiskalt. Als wäre nie etwas gewesen. Er konnte sich noch nicht einmal ein "Hallo" abringen. Auch das ist eigenlich gut so und ich müsste dankbar darübefür sein. Bin ich aber nicht! Ich fühle mich schlecht! Auch, weil ich von einer gemeinsamen Bekannten im nachhinein erfahren habe, dass er noch eine Woche vor unserem Kennenlernen schrecklichen Liebeskummer hatte. Als wir uns trafen war davon keine Spur mehr zu bemerken. Er war unbelastet und gut gelaunt.
Ich weiß selbst nicht genau, warum ich das hier schreibe oder was ich mir davon erhoffe, denn es ist eigentlich alles klar. Aber mein Kopfkino will einfach nicht aufhören. Nach zweimal sehen (das dritte mal zähle ich nicht als solches) und zehn Monaten, die inzwischen vergagen sind!
Verdammt, verdammt, verdammt! Wie kann ich das nur abstellen?
Meine Beziehung läuft gut. Ich bin nicht ganz zufrieden mit der vielen Arbeit und mit der Gestaltung unseres Privatlebens. Der Sex ist gut, aber für meinen Geschmack zu wenig. Ich bin sexuell nicht wirklich ausgelastet und die Spiellaune meines Partners lässt meist auch ein wenig zu wünschen übrig. Aber das sind alles Nebensächlichkeiten. Er ist ein großartiger Mann und ich liebe ihn aufrichtig. Trotzdem schwirren diese Gedanken an IHN die ganze Zeit in meinem Kopf herum und ich male mir alle möglichen verschiedene Situationen aus, wie wir uns wieder begenen, was ich ihm gerne sagen würde, was ich ihn gerne mit mir machen lassen würde, wie er mich einfach packt und ich alles nur noch mit mir geschehen lassen kann...
Ach, verdammte Scheiße!!!
Wäre ich an dem Abend im Mai doch nur alleine zu Hause auf meiner Couch geblieben!