Als wir uns über den Weg liefen, hatte das Leben meines Mannes gerade erst begonnen. Er war mit seinen 26 Jahren noch unerfahren, gegenüber Frauen. Im Sommer war er mutterseelenalleine auf Interrail unterwegs. Dabei hatte er das erste Mal begonnen, ein bisschen über seinen Schatten zu springen. Im Herbst liefen wir uns über den Weg.
Für mich war er mein Traummann: freundlich, humorvoll, kinderlieb, sportlich und auch noch Techniker. Das war genau das, was ich mir als Lebenspartner vorgestellt hatte.
Er war auf der Suche nach prickelnden Frauengeschichten. Ich war auf der Suche nach einem passenden Lebenspartner. Irgendwie hab ich es geschafft ihn an mich zu binden oder besser gesagt er hat es nicht geschafft, sich wieder aus meinen Fängen zu befreien.
Ein Problem hatten wir von Anfang an. Ich war verliebt und wollte ihn jede freie Minute bei mir haben. Er war nicht verliebt und kämpfte um möglichst viel Freiraum. Damals hatte ich einen 40-Stundenjob mit täglich 1,5 Stunden Fahrzeit. Er war Student, der jeden Tag bis 10 Uhr die Zeitung las. Aber er hielt mir Vorträge, dass er nicht so viel Zeit hätte, wie ich.
Mit dem Kampf um die gemeinsame Zeit hätte ich ganz gut leben können, wenn er nicht noch eine unangenehme Eigenart gehabt hätte. Er versprach mir immer zwischen halb und punkt zu kommen. Ab halb begann ich auf die Uhr zu schauen, um 10 vor konnte ich nichts mehr Vernünftiges machen. Ich lief nur noch nervös herum und die Minuten wurden mir zu Stunden. Um 10 nach wenn er dann auftauchte, war ich mit den Nerven am Ende und nur noch ein Häufchen Elend. Es wäre ihm nie und nimmer eingefallen sich zu entschuldigen. Ganz im Gegenteil. Er war jedesmal total erbost, dass ich wegen der paar Minuten so ein Theater mache.
Irgendwie hat sich diese Minutenklauberei bei mir festgesetzt. Wenn er zur vereinbarten Zeit nicht da ist, dreh ich zwar nicht mehr durch, aber ich werde unrund. Im Laufe der Jahre hat er eingesehen, dass wir besser zusammen leben, wenn er sich an seine Zeitangaben auch hält. Es fällt ihm unheimlich schwer, aber er bemüht sich darum.
Inzwischen gibt es aber ein neues Problem. Ich war nie gerne ohne Partner zu Hause. Aber es war kein Problem. Als die Kinder noch klein waren, wollten wir abwechselnd auf Urlaub fahren. Zuerst ich mit einer Gruppe Wandern und dann er bei einem Gletscherkurs oder irgend so etwas. Am 2. Tag meiner Wanderung rief ich am Abend zu Hause an. Zu meinem Entsetzen war eine Bekannte mit ihren Kindern bei ihm. Er erzählte, dass sie auch den Tag davor schon zusammen verbracht haben. Es war nicht irgendeine Bekannte. Jeder wusste, dass sie männernarrisch ist und dass sie erst vor kurzem von einem außerehelichen Nachwuchs erfahren hat. Von dem Zeitpunkt an war meine Wanderung kein Spaß mehr. Mich plagten die wildesten Vorstellungen und die Eifersucht nagte an meinen Nerven. Ich wollte die nächste Möglichkeit nutzen, um wieder nach Hause zu kommen. Bevor ich nach Hause fuhr, schaute ich bei der Bekannten nach, ob nicht vielleicht unser Auto dort steht. Bevor ich in unser Haus ging, schlich ich herum und wagte mich nicht hinein. Sie war nicht da. Sie war danach nie mehr mit ihm zusammen. Aber mir ist trotzdem ein Trauma geblieben. Seither drehe ich durch, wenn mein Mann länger als 3 Tage von mir getrennt ist. Die ersten 3 Tage vermisse ich ihn. Aber es geht mir soweit gut. Von einer Minute auf die andere schlägt es dann aber irgendwann um. Ab dem Zeitpunkt habe ich das Gefühl, es keine Minute länger ohne ihn auszuhalten. Das Wissen es dauert noch Tage macht mich völlig fertig. Ich kann nicht mehr schlafen und in den schlaflosen Nächten denke ich mir die unmöglichsten Dinge zusammen, womit er sich gerade beschäftigt. Ich denke an Selbstmord, weil das Gefühl so unerträglich ist und kein absehbares Ende in Sicht.
Für einen freiheitsliebenden Menschen wie meinen Mann ist diese Situation auf lange Sicht unerträglich.
Dazu kommt dann noch, dass meine Anforderungen an eine Partnerschaft sehr hoch sind. Ich kann mich mit einem ruhigen Nebeneinander nicht abfinden. Ich möchte das Leben spüren können. Nachdem man nur die Unterschiede spürt, werde ich unrund, wenn mein Leben länger keine Wellen schlägt. Ich meine damit Gefühlswellen. Ich will meinen Partner anhimmeln und auch nach 15 Jahren noch immer turteln. Mein Partner sucht die Aufregungen lieber in Abenteuern. Er träumt von Dingen, die er nur ohne mich und nicht innerhalb von 3 Tagen machen kann.
Obwohl wir eine Unmenge gemeinsamer Hobbys haben, haben sich unsere Interessen in einem sehr wesentlichen Punkt auseinander bewegt. Trotz der vielen gemeinsamen Interessen, wird sogar ein schöner gemeinsamer Urlaub unmöglich. Er will möglichst viele Bergabenteuer unterbringen und ich erwarte mir viele romantische Stunden und zärtlichen Sex. Für mein Bedürfnis hat er dabei überhaupt kein Verständnis. Im letzten Jahr schaute das Ende unseres Urlaubs so aus: Nach einem romantischen Abend in einer heißen Schwefelquelle kamen wir zu unserer Unterkunft zurück. Wir machten uns beide fürs Bett fertig. Als ich mich in seine Arme legen wollte, war dort die Zeitung und er wollte sie auf keinen Fall gegen mich eintauschen. Für ihn war meine Enttäuschung und mein Unmut unverständlich. Er sieht nur nicht einmal die Zeitung darf er lesen.
Wir haben jetzt beide einen Horrorsommer ohne Lichtblick vor uns. Er ist zwider, weil er nicht eine Woche ohne mich weg fahren kann und ich bin unglücklich, weil mein Sommer von einem zwidernen Ehemann überschattet wird. Es wartet nur ein langer Sommer mit einem Mann, der mich für sein Unglück verantwortlich macht.