An meinem neuen Arbeitsplatz habe ich eine phänomenale Frau kennengelernt. Sie ist anders als die anderen, sie ist charakter-stark und sieht makellos aus: Sie ist groß und hat einen braunen Schopf, sie ist mutmaßlich aus Spanien, vielleicht aber auch aus Madrid. Ich habe sie in einem Flirtportal wiedergefunden und sie kontaktiert, wir schreiben pausenlos miteinander. Sie hat mir geschrieben, daß sie mich liebt. Sie weiß nicht wer ich bin. Wir flirten bei der Arbeit miteinander; eine Einladung zum Kaffee hat sie allerdings ausgeschlagen, es gäbe da einen, den sie liebt, obwohl sie ihn nur im Internet kennt. In unseren Emails lasse ich durch scheinen, daß ich sie persönlich kenne und sie hat sich fest vorgenommen herauszufinden, wer ich bin. Diese Ungewissheit genieße ich, es ist dieser ganz außerordentliche Reiz, eine Art sadistischer Trieb, der mich anstachelt immer weiter zu gehen. Es muss erniedrigend sein nicht zu wissen wer hinter meinem Profil steckt und aufgrund diverser Äußerungen beschäftigt sie es, ganz ohne Zweifel.
Am Montag hat sie der Filialleiter vor der gesamten Belegschaft zusammen gestaucht, da sie die Normen der Distributionszeit für Kunden-Lieferungen nicht erfüllt, obwohl sie an der Fritteuse die Bestzeit von uns allen hält. Unser Chef hat sich über ihre Arroganz mokiert und sich über ihre Einstellung ausgelassen; sie errötete im Gesicht und hat versucht es zu überspielen, aber letzten endes hat sie ihre Betroffenheit nicht verbergen können. Viele haben gelacht, es war ein einzigartiger Moment der Schwäche, der Demütigung, der mich an dieser Frau so fasziniert hat. Auch das habe ich ihr geschrieben; seither kommt sie nicht mehr zur Arbeit. Liegt es an mir oder daran, daß sie von den anderen gehasst wird? Hat sie bereits erraten, wer ich bin? Meine Identität aufzudecken hat bislang noch niemand vermocht.
Sie ist das letzte Puzzlestück, das letzte Element zur Vollkommenheit. Ich muss sie für mich gewinnen, muss sie überzeugen, daß es der richtige Weg ist; dieser führt ausschließlich über mich. Mein innerer Zirkel hat seine Anweisungen schon erhalten. Nach meiner Offenbarung wird es auf ein Date hinauslaufen, es bedarf also einer optimalen Anpassung an die Bedürfnisse der Situation; auch wenn mir der Wind ins Gesicht bläst, einem Sturm halte ich allemal stand. Die fundamentale Änderung meiner Persönlichkeit hat ihren letzten Schritt fast erreicht, nur kann ich ihr nicht ohne notwendiges Rüstzeug begegnen. Ein letztes mal werde ich meinen Geist manipulieren müssen, aber Alkohol war nur wenig erfolgversprechend. Mein Cousin weiß mir bestimmt zu helfen, er hat die richtigen Mittel und sehr viel Erfahrung auf dem Gebiet. Eine letzte Investition, ein letztes Blinzeln vor meinem großen, unabdingbaren Erfolg. Wenn es dieses eine mal nicht ausreichen sollte, muss ich wohl wieder auf meine Gummipuppe zurück kommen. Auch sie wird mir eine adäquate Ergänzung zu meinem Charakter sein.
Ein Aphorismus eines wohlbekannten, lateinischen Philosophen besagt:
"Mundus vult decipi, ergo decipiatur.
Nihil verum, omnia licita.
Nosce te ipsum, regulum aureum!
Ludribii haud expers, mala quem fortuna fatigat.
Resistere futile est, nam vara vibiam sequitur."