Es lebe die virtuelle Freiheit!
Es lebe die virtuelle Freiheit!
Nie wieder verlieben, bloß keine Bindungen, Verantwortung oder vermeintlichen Freiheitsverlust zulassen! Tun und lassen können, was man möchte, nie wieder einengen lassen. Man hat ja schließlich genug Schlechtes im Leben erlebt, möchte nun all das nie wieder. Und vertrauen wird man sowieso keinem mehr.
Wie einsam man doch eigentlich ist. Also ab ins Internet, in die Communities und Singlebörsen. Da ist man ja nie wieder einsam, findet viele Freunde und vielleicht sogar den Richtigen. Oder einfach nur den gesuchten Sexpartner. Zulassen wird man es natürlich nie, aber erst einmal ein Profil erstellen.
Zwei Möglichkeiten: Entweder allen Frust da reinschreiben, über das andere Geschlecht abkotzen und sagen, was man keinesfalls möchte. Idealerweise einen provokanten Nick oder Namen wählen, keinesfalls ein Bild einstellen oder das wahre Alter angeben.
Oder seine Träume schildern: Die romantische Liebe, voller Harmonie und völlig konfliktfrei. Einen schicken Nick oder Namen wählen, am besten was mit Fee, Zauber, Traum oder Maus. Oder natürlich die nie ausgelebten sexuellen Fantasien andeuten. Tolle Interessen angeben, alles, was man noch nie gemacht hat, aber mal machen möchte. Ein schickes Bild irgendeiner Internetschönheit (ersatzweise eine Diddl-Maus oder einen Engel) einsetzen (weil man sich selbst so sieht, nicht weil man so aussieht). Keinesfalls die eigene Gewichtsklasse angeben womöglich findet sich ja jemand, der einen im Originalzustand schön findet!
Das Kombi-Pack ist auch sehr beliebt, besonders bei Sexsuchenden, Forentrollen, Spionen und Denunzianten: Lege mehrere Profile an, so kannst Du mehr Sexpartner abgreifen bzw. bleibst unerkannt. Dies hier ist ja schließlich kein modernes Kommunikationsmedium, sondern eine ausschließlich virtuelle neue Welt, in der man auch ganz jemand anderes sein kann, weil man ja den Platz hinter dem Bildschirm sowieso nie verlassen wird.
Nun kann endlich die Freiheit beginnen!
Komisch nur, dass sie bei den meisten mit Selbst-Einengen einhergeht, indem man sich nämlich mitten in die Masse stellt, Dauer-Kontaktmöglichkeiten ohne Ende schafft (Handys, Messenger, Chat, usw.), Angriffsflächen bietet und sich dann wundert, dass Kontaktmöglichkeiten und Angriffsflächen auch genutzt werden. Besonders, wenn man bei der Selbstdarstellung ein wenig geschummelt hat.
Aber das schafft natürlich eine gewisse Basis: Man hat jetzt ja wenigstens etwas, über das man schimpfen kann. Das böse andere Geschlecht, die Fiesen, die Arroganten. Sicher wird man auch schnell eine Menge Geschlechtsgenoss(inn)en finden, die der gleichen Meinung sind. Die kann man dann in einem Club oder einer Gruppe versammeln und gemeinsam lustig voller Freude auf die Bösen einhacken, z.B. in Foren oder Artikeln. FREUNDE! Und endlich eine sinnvolle Beschäftigung für den Tag und oft auch für die Nacht!
Eine beliebte Alternative ist auch Anlocken, Beschimpfen, Fortjagen: Auf diese Weise kann man leicht die angestauten Rachegefühle ein paar anderen heimzahlen, weil man ja selbst irgendwann mal schlecht behandelt wurde. Dieses Spiel kann alternativ rein virtuell oder bis zum Körperkontakt gespielt werden auf diese Weise kann man noch kostengünstig seine hin und wieder auftretende sexuelle Lust befriedigen. (Achtung Frustpotential: Funktioniert nicht immer, es gibt auch Gegenüber, die einen im realen Leben von der Bettkante stoßen!!)
Freiheit? Stelle ich mir anders vor.
Oder doch nur verzweifeltes Umsichschlagen vor lauter Frust? Schade, das kann man nur selbst ändern.