Lieber revanto,
deine Beobachtung ist richtig: es hat sich wirklich viel geändert im Berufsleben. Es gibt jetzt den Typus Dauerpraktikant, den du völlig richtig beschrieben hast. Die Frage ist ja: warum gibt es das? Und warum gibt es 450,- Eurojobs? Warum wohl? Weil es möglich ist, ganz einfach!
Warum lernen 10.000 Studenten Wald und Forstwirtschaft, wenn im ganzen Land pro Jahr etwa 18 oder 20 Forstwirte für unsere Wälder gebraucht werden? Klar, weil es im Wald so schön ist, da würd ich dann auch ein Praktikum machen, wenn ich viel an der frischen Luft sein möchte...
Als ich anfangs der 1980er im Abschlussjahr meiner Ingenieursausbildung war (ich habe nicht studiert, bin nur Schmalspuringenieur) kamen auch die Firmen zu uns, Siemens, Brown Boveri (heute ABB) und wie sie alle heißen und haben um Absolventen geworben - die zukünftigen Herrn Elektriker (in meinem Jahrgang war damals das erste Mädel, eine Sensation, ansonsten war die Bit-Fricklerei noch reine Männerdomäne). Was hab ich gemacht? Ich bin erst mal ins Ausland, unser/euer schönes Deutschland und habe hier angefangen. Und zwar ganz unten, wie es Herr Walraff sehr zutreffend beschrieben hat, einige der in diesem Buch beschriebenen Zustände habe ich am eigenen Leib erlebt.
Nach über 30 Jahren bin ich immer noch "prekär" beschäftigt, wie interessierte Kreise das hier zu Lande nennen, will sagen, ich arbeite als Freiberufler von Auftrag zu Auftrag. Das hat viele Nachteile, etwa, dass ich regelmäßig nicht weiß, was ich nächstes Jahr machen werde. Es hat auch den Nachteil, dass man keinen neuen Job mehr kriegt, wenn man im alten genug Scheiße gebaut hat. Es hat weiterhin den Nachteil, dass es schwer ist, an Kredite zu kommen, wenn mal was Größeres finanziert werden soll. Es hat aber auch Vorteile. Etwa den, dass man annehmen darf, dass man wirklich gut ist, wenn einen nach 30 Jahren die selben Kunden immer wieder einkaufen und dabei regelmäßig höchstmögliche Stunden- oder Tagessätze rausrücken. Und man kommt rum. In meinem Fall ging es dann von Deutschland erst mal nach Norwegen, danach wieder zurück nach Österreich. Danach in die Schweiz, danach nach Südafrika, danach wieder Deutschland bis 1999. Danach kam Mexiko und USA dran, von 2001-2006 war ich für Siemens weltweit unterwegs (allerdings als Angestellter), dann wieder einige Jahre Österreich und seit 2009 bin ich wieder in good old Germany. Übernächste Woche geht es für einige Monate nach Brasilien und was nächstes Jahr sonst noch so alles sein wird: ich kann es dir nicht sagen.
Resume: man kann sich jede beliebige Situation beliebig schlecht reden. Man kann aber auch das Beste draus machen. Tut mir leid, wenn ich das 27 jährige Mädel mit ihrem Klagelied nicht so ganz ernst nehmen kann, es gibt einfach wahrlich schlimmere Schicksale.
Freundliche Grüße,
Christoph