beate_18414845Gerade bei psychischen Erkrankungen geht "den folgenden Shitstorm mutig ertragen" nur halt meistens erst, wenn man schon mal durch das gröbste durch ist.
Außerdem glaube ich, was hier fehlt, ist mehr Allgemeinwissen als Helden.
Wo bei einer körperlichen Erkrankung auch dem letzten Deppen noch einleuchtet, dass es eher nicht "Faulheit" ist, wenn jemand mit einem Hüftschaden jetzt nicht mit zur Bergwanderung möchte, ist etwas vergleichbares im psychischen Bereich ganz was anderes. Selbst bei gebildeten Menschen, nicht nur bei den letzten Deppen.
Beim einen wie beim anderen sind die Grenzen fließend, tagesformabhängig und manchmal individuell. Auch jemand mit einem Hüftschaden kann der Versuchung erliegen, lieber immer zu Hause zu bleiben und alle Einkäufe von anderen erledigen zu lassen, um sich zu "schonen" - womit die Grenze zum Schaden für beide Seiten überschritten wäre. Weil man auch mit einem Hüftschaden Bewegung BRAUCHT, aber eben auch auf Belastungsgrenzen, die gesunde Menschen an dieser Stelle noch lange nicht haben, einhalten muss, um sich nicht selbst zu schaden. Von den sozialen Folgen, dass man immer nur die anderen schickt, mal abgesehen.
Und ja, im psychischen Bereich ist der Grat zwischen "nein, sollte ich lassen, um mich nicht zu überlasten" und "ach nee, das wird mir jetzt aber bissl unangenehm, ich mag ned, ich bleib lieber da" viel schmaler, viel schwerer zu erkennen. Auch und gerade für die Betroffenen selbst - auch wenn jeder Mensch einen "inneren Schweinehund" hat - unserer hat da mehr einen Hang zum Kerberos in Top-Form. Ich weiß :-/ Auch der muss an die Leine, keine Frage.
Aber zumindest ist in diesem Bereich den Menschen klar, dass es solche Grenzen GIBT, dass der Betroffene darauf achten MUSS und dass die natürlich auch an Stellen liegen können und werden, bei denen gesunde Menschen nicht das geringste Problem haben.
Anders im psychischen Bereich. Hier gibt es immer noch verbreitet die Einstellung, dass man das irgendwie alles mit "mal zusammenreißen" auf die Reihe bekommt.
Ein für mich persönlich sooooooooooooooooo unseeliger Satz.
Klar, man könnte auch mit einem gebrochenen Bein weiter laufen, wenn man sich einfach mal zusammen reißt. Ist nicht schlau, aber es geht. In dem Falle ist aber jedem klar, dass das eine maximal dämliche Idee ist und man würde es niemandem raten. Man würden jeden umgehend zum Doc schicken, Bein behandeln lassen, schienen / gipsen (macht man heute nicht mehr, oder?) - was auch immer. Anders bei psychischen Erkrankungen. Da hört man das ständig. Und glaubt es auch selbst noch. Ergo: man läuft ewig mit einem "gebrochenen Bein" herum, was das Problem irgendwie nicht besser macht. Natürlich nicht. Klar wird es damit schlimmer. Was auch sonst.
Und dann muss man sich noch rechtfertigen, dass man das behandeln lässt. Dafür krank geschrieben ist, statt weiter rum zu laufen.
Man hört Sprüche wie "ich bin auch manchmal traurig, da mache ich auch nicht so ein Theater" - und muss dann noch erklären, dass "ich bin auch mal traurig" mit einer Depression ungefähr so viel zu tun hat wie "ich muss auch mal husten" mit Lungenkrebs.
Oder wie ich von vielen Mitpatienten in den Therapien gehört habe sowas wie "oh, Du bist im Krankenhaus, ist es was Ernstes oder wieder Dein Zeug?" - üblicher Weise aus der Familie. Depressionen sind per se eine lebensbedrohliche Erkrankung, wie ernst soll es denn bitte noch werden für die Damen und Herren?!? Diskutieren sie dann bei der Beerdigung auch noch rum, warum man sich nicht mal zusammen gerissen hat?