... und habe das Gefühl zu erfrieren.
Vorigen Freitag ist mein Opa gestorben.
Ich bin eigentlich bei meinen Grosseltern aufgewachsen. Erst weil meine Eltern immer gearbeitet haben, und dann weil meine Eltern sich getrennt haben. Mein Vater hat mich damals (ich war 10!!!) mit den Worten: "Wenn du zu deiner Mama gehst, hast du keinen Vater mehr!" erpresst nicht zu meiner Mom gehen zu wollen. Meine Mutter war nervlich am Ende und hatte mich die Monate zuvor nicht gerade "liebevoll" behandelt. Mein Bruder kam 8 Wochen zu früh auf die Welt, da hatte mein Vater schon seine "Affäre". Ständige Prügel von meiner Stiefmutter hab ich weggesteckt, wollte meine Grosseltern nicht beunruhigen, wollte ihnen ihre wohlverdienten Urlaube nicht kaputt machen. Nach einem langen Leben voller Arbeit und 5 eigenen und zwei Enkelkindern, die sie in ihrem Leben gross gezogen haben, hatten sie sich das, meiner Meinung nach, verdient. Ich hab still gehalten. Erlitten, geduldet, mich schuldig gefühlt, und immer wieder gehofft, das sich irgendwann alles ändert. Irgendwann hat mein Opa mitbekommen, was läuft. Und hat vor meinem Dad gestanden, der mich an diesem einen Tag vermutlich KH-reif geschlagen hätte, wenn mein Opa nicht dazwischen gegangen wäre. Mein Vater war in der Zeit seiner zweiten Ehe sehr jähzornig und hatte sich kaum noch unter Kontrolle. (Ich hab ihm mittlerweile verziehen, vergessen werde ich das aber nie!)
Jetzt ist mein Opa tot. Geschwächt vom Darmkrebs, der ihm die letzten Monate schwer zu schaffen machte, konnte er letzten Freitag friedlich einschlafen.
Ich bin seit 16 Jahren mit meinem Mann zusammen, dieses Jahr 13 Jahre verheiratet. Um 20.48 Uhr hat mein Opa seine Augen für immer geschlossen. Mein Vater hat mich um 21.00 Uhr informiert. Und mein Mann?
Er sass den Freitag Abend und den Samstag Abend vor einem erotischen Paarechat. Am Sonntag hab ich ihn drauf angesprochen, ihm gesagt, dass mich das verletzt hat. "Du hast doch auf der Couch gelegen und gelesen." war seine Antwort. Ja, ich lese immer Bücher die zugeklappt auf dem Couchtisch liegen. Schon klar. Sonntag abend wieder, ich Couch, er Chat. Er mag Partnertausch, mich stösst es mittlerweile ab, eine Zeitlang war es ja noch ok. Ich habe mich vier Jahre lang prostituiert, weil das Geld hinten und vorne nicht gereicht hat um unsere beiden Kinder zu ernähren. Aufgehört habe ich, als mein Mann meinte er bräuchte eine neue Digitalcamera, und das wären für mich ja maximal zwei Wochenenden arbeiten. Ich habe wieder einen soliden Job. Bei dem ich zwar wesentlich weniger verdiene, aber es tut gut, nicht mehr lügen und heucheln zu müssen. Wenn ich weiter anschaffen gegangen wäre, hätte mich das irgendwann zerstört.
Ich habe Angst, wahnsinnige Angst vor dem Alleinsein. Ich war noch nie allein. In meinem ganzen Leben nicht. Voriges Jahr wollte ich mich von meinem Mann trennen. Mit meinem besten Freund, der gleichzeitig unser Nachbar ist, irgendwo ein gemeinsames Haus mieten und weg ziehen. Dann bekam mein Nachbar einen neuen Job, und das Thema war vom Tisch. Und ich hab mich nicht getrennt. Ich bin geblieben. Habe mir Gedanken über die Vorwürfe meines Mannes gemacht. Dass ICH Schuld daran sei, dass er keinen Kontakt zu seiner Familie mehr hatte. Und dass er niemanden ausser uns hat. Außer mir und unseren Kindern. Mir ist kalt. Ich friere. Innerlich.
Seit Jahren bin ich in einen anderen verliebt. Vielleicht hatte ich gehofft, dass wir doch irgendwann zusammen kommen. Dass ER ahnt, was in mir vorgeht, denn gesagt habe ich es ihm nie. Er war lange Single, doch ich habe immer geschwiegen, aus Angst, einen Korb zu bekommen. Ich zerbreche innerlich, es zerreisst mir das Herz, aber ich mache immer noch das, was ich mein ganzes Leben lang gemacht habe. Ich verstecke mich. Verstecke meine Gefühle tief in mir. Lächele. Sage nicht dass ich das Gefühl habe zu sterben. Nicht, dass es mir das Herz zerreisst. Nicht, dass ich ihn liebe. Und auch nicht, dass ich ihn, gerade jetzt, brauche.
Denn mein Mann ist kein Trost, kein Halt, nicht für mich, und schon garnicht jetzt. Nicht, wenn ihm ein Chatraum wichtiger ist, als mich einfach mal in den Arm zu nehmen. Mich zu trösten, mir das Gefühl zu geben, traurig sein zu dürfen. Aber trennen? Ich kann es nicht. Nicht allein. Meine Ehe bedeutet für mich einen Halt, einen Hafen - Ich kann nicht alleine sein. Schade, dass es nicht der sichere Hafen ist, den ich mir als junges Mädchen erhofft hatte.
Wenn ich eines Tages sterbe, was werde ich über mein Leben sagen?
Ich war ein gutes Kind - nicht immer brav, nicht immer anständig, aber ich habe getan, was von mir erwartet wurde. Ich habe für andere gelebt, für andere geliebt, für andere gelitten. Ich habe mit - weiß Gott wievielen - Männern geschlafen, habe ihnen eine Phantasie erbaut, ihnen gegeben, was sie brauchten, um meine Kinder zu ernähren.
Habe ich gelebt? - Ich denke heute nicht, dass ich diese Frage jemals beantworten kann...
Eins aber kann ich sagen: Meine Kinder und meine Katzen waren mir in meinem Leben immer wichtiger, als mein Glück, mein Leben, meine Gefühle, meine Hoffnungen und meine Liebe... Und ich habe nie einem anderen Mensch wirklich weh getan. Reicht das für ein ganzes Leben? Ich wünschte, mein Opa wäre jetzt hier, und könnte mir einen Ratschlag geben. Ich wollte ihn fragen, letzte Jahr. Aber erst hatte meine Oma einen schweren Schlaganfall, dann hatte Opa die Lungenentzündung, von der er sich nie wieder ganz erholt hat, und zum Schluss den Darmkrebs, der ihn getötet hat. Und ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, und ihn um Rat fragen... Aber wie so vieles im Leben, weiß man das erst, wenn es zu spät ist...
mit traurigen Grüssen
eine frierende
wetwhore