Liebe Community,
Ich bin mit meinem Latein am Ende und entschuldige mich schon jetzt für den langen Text...
Seit Anfang Jahr bin ich einer Beziehung mit einem Mann in meinem Alter. Da meine letzte Beziehung emotional sehr anstrengend (mein Ex war wesentlich jünger und hatte psychische Probleme) und die Trennung noch frisch war, wollte ich anfangs nichts Festes. Mein jetziger Freund war in seiner letzten Beziehung schon länger nicht glücklich und als wir uns kennenlernten, hat er sich von seiner Ex getrennt, bevor wir uns näher kamen. Er war in der Anfangszeit sehr aufmerskam, redete viel hat viel gelacht, mich von sich aus angerufen - es war total schön. Nach einigen Wochen teilte er mir mit, dass er Gefühle für mich hätte und eigentlich nicht auf Spass,sondern eine ernste Beziehung aus ist. Ich spürte, dass ich emotional noch nicht richtig frei war und kommunizierte das ganz ehrlich. Er meinte, er würde mir sehr gerne Zeit lassen und solange ich keine anderen Männer date, sei es für ihn in Ordnung.
Im Anschluss habe ich mich in den nächsten Wochen immer mehr in ihn verliebt und mitgeteilt, dass ich mich sehr gerne darauf einlassen möchte. Ich lernte seine Familie kennen, er meine, alles wunderbar.
In den folgenden Monaten wurden meine Gefühle stärker, sein persönliches Interesse an mir, seine Initiative im Alltag und vor allem in der Erotik nahmen jedoch massiv ab. Ich suchte das Gespräch und teilte ihm mit, was ich mir wünsche und was mir fehlt, nachdem meine Erkundigungen nach seinem Befinden zeigten, dass ihm überhaupt nichts fehlt, er total glücklich ist und sehr oft an mich denkt.
Ich bin ein Mensch, der im Alltag sehr aufmerksam ist und in der Erotik gerne verwöhnt und experimentiert. Im Gegensatz ist es mir wichtig, dass der Partner Anteil an meinem Leben nimmt, mich ab und zu ebenfalls verwöhnt und von sich aus den Kontakt zu mir sucht. Ich wünsche mir ein "Teamgefühl" - denn sonst brauche ich keine Beziehung und es reicht mir etwas Lockeres für die Erotik und eine lustige Zeit. Bis jetzt war es in jeder Partnerschaft für mich "normal", dass man sich meistens täglich austauscht und sich beide auf die Gespräche und die gemeinsame Zeit freuen und das auch zeigen. Mein Freund meldet sich nach drei bis vier Tagen von sich aus, wenn ich mich nicht melde und "es aushalte", nicht zu schreiben oder amzurufen.
Es ging mir in den letzten Monaten zunehmend schlechter, da ich viel mehr gab, als zu erhalten (Aufmerksamkeit, Initiative, Erotik etc). Mein Freund erzählt nicht viel von seinem Alltag, verwöhnt mich in der Erotik fast gar nicht (obwohl er es super kann), und Blumen sowie grössere selbstgekochte Gerichte bekomme ich jeweils nur, wenn ich nicht mehr kann und weine, weil die Situation so schmerzhaft für mich ist.
Ich verstehe nicht, wie ihm die Situation, wie sie ist, emotonal genügen kann.
Unsere Gespräche über Gott und die Welt sind jeweils richtig anstrengend, weil er meine Art zu kommunizieren irgendwie nicht versteht. Er fühlt sich immer gleich bei Kleinigkeiten angegriffen, wenn ich beispielsweise äussere, dass fugenlose Steinplatten als Bodenbelag vermutlich (!) teurer sind als kleinere mit vielen Fugen, meinte er letztens, wie ich sowas einfach behaupten könne und er fände es grässlich, dass ich Vermutungen immer als Fakten darstelle. Ich erklärte dann sehr ruhig, dass es wie grammatikalisch in meinem Satz klar vermerkt nur eine Vermutung sei.
Ich muss dazu sagen, dass unser Bildungslevel recht unterschiedlich ist - ich denke sehr schnell und studiere, bin viel gereist, spreche 7 Sprachen, habe in vielen Branchen gearbeitet und liebe Bildung in jedem Bereich über alles.
Er hat seine Stärken, die ich bewundere und was ich ihm auch immer wieder sage, eher im sozialen Bereich im Umgang mit vielen Menschen aus allen Schichten (was mir eher fehlt, da ich recht isoliert unter Akademikern aufgewachsen bin, worunter ich immer gelitten habe und was ich auch ganz gezielt durch die Arbeit in Nebenjobs z.Bsp. als Holzbodenlegerin auf dem Bau ausgleichen wollte) - also eigentlich würden wir uns ganz grossartig ergänzen, wenn die Gespräche nicht immer so aus dem Ruder laufen würden, wenn ich meine Gedanken wie sie nunmal sind mitteile. Ich liebe es, zu analysieren und bin gedanklich immer einen Schritt voraus.
Er hat es nicht gesagt, aber ich spüre, dass er sich unterlegen fühlt und aggressiv reagiert, weil ich leider, rein was Fakten betrifft, viel mehr weiss als er. Mir wäre das total egal, ich liebe ihn ja nicht nur für sein Gehirn, sondern für seine Seele und sein Herz.
Es plagen mich grosse Selbstvorwürfe, da es mir weh tut, in ihm Minderwertigkeitsgefühle auszulösen, nur wenn ich schon den Mund aufmache und quasi nicht mehr mich selbst sein kann.
Unsere Wochenenden sehen so aus, dass wir kuscheln, fernsehen, jeder an seinem Handy etwas liest, irgendwann schnellen (guten) Sex haben (was mir leider nicht reicht wegen dem "schnell") und ab und zu etwas unternehmen wie Kino oder Freunde treffen. Unter der Woche wäre wenn es nach ihm ginge wohl beinahe Funkstille, er vergisst alles, was ich ihm erzähle (z.Bsp. Prüfung morgen) etc... dazu muss ich sagen, dass er recht faul ist. Er hat nach der Lehre nun ein Studium angefangen und macht aber extrem häufig blau und geht lieber angeln oder schläft stundenlang - eine wirkliche Perspektive hat er nicht. An einem Tag arbeitet er im Büro - also nicht wahnsinnig anstrengend oder so. Er ist wohl etwas depressiv, ich riet ihm zu einer Therapie, wo er vor einem halben Jahr zweimal hinging und danach nicht mehr (er hatte eine extrem schwere Kindheit).
Bei jedem Liebeslied im Radio schmerzt mein Herz, weil mir bewusst wird, dass ich in jeder Beziehung glücklicher war, auch wenn ich zeitweise schlechter behandelt wurde, einfach, weil das Bedürfnis des Partners da war, sein Leben mit mir zu teilen.
Vor einigen Wochen habe ich ihm als ernst gemeinten Lösungsansatz angeboten, einen Schritt zurückzuschrauben und die Beziehung vielleicht etwas umzudefinieren, um ihm mehr Freiheit und mir weniger Leid zu ermöglichen, worauf er total ausgeflippt ist und meinte, dass ich seine Traumfrau wäre und er mich liebt und er gar nichts umdefinieren will.
Ich hatte ein sehr langes Gespräch mit meinem Freund, er hat geweint und er gibt sich nun total Mühe. Er schreibt öfter, erkundigt sich öfter etc...
Und ich mache mir Vorwürfe, weil ich spüre, dass es nicht reicht, weil seine Gefühle bei dem Ganzen irgendwie trotzdem nicht durchkommen. Ich weiss nicht, wie ich es sagen soll, aber sogar seine Wut bei meinem Vorschlag kam mir unecht und gespielt vor.
Ich treffe mich manchmal mit seiner Schwester und sie meinte, er hätte ganz klar ein grobes Bindungsproblem, gehe es aber leider seit Jahren nicht an. Ich weiss auch, dass er es noch nie so stark versucht hat - bisher hat er jede Beziehung innert kürzester Zeit auf sehr unfeine Art beendet, wenn er nicht 100% sein Ding durchziehen konnte und Probleme auftraten.
Ich weiss, dass er mich liebt, aber ich weiss nicht, ob ich die Geduld aufbringen kann, zu warten, und die Liebe bei soviel Schmerz aufrechterhalten kann. Die schmerzlichsten Punkte für mich sind die schwierige Kommunikation und die Tatsache, dass er mich körperlich nicht öfter verwöhnt (sexuell und zärtlich) - er schläft immer ein, wenn er mich streichelt, und ich mache in dieser Hinsicht (total gerne und von Herzen) alles für ihn, wenn ich nicht fix und fertig von einem 12h-Tag bin.
Ich würde mich über alle erdenklichen Antworten und Erfahrungsberichte sehr freuen. Ich kann übrigens ausschliessen, dass er fremd geht - er ist kein sadistischer, fieser Mensch, er hat einfach grosse eigene Baustellen.
Liebe Grüsse
Linda