Die Biochemie der Liebe
Was ist Liebe? Diese Frage weckt zunehmend auch das Interesse von Naturwissenschaftlern. Moderne Untersuchungen liefern erstaunliche Einsichten in die Biochemie und Physiologie der Liebe.
Ein Feuerwerk an biochemischen Raketen hält die Liebe am Kochen
Haupterkenntnis: Die Mechanismen, die dafür sorgen, dass es einen "erwischt", sind ungeheuer komplex.
Die Zentrale der Liebe ist das Gehirn. Es ist unser wichtigstes Sexualorgan, es steuert die Emotionen. Hier wird die Freisetzung der Hormone und Neurotransmitter reguliert, die im Orchester der Gefühle die erste Geige spielen und unser Liebesleben bestimmen.
surfmed erklärt was passieren muss, damit aus einer flüchtigen Begegnung Liebe wird:
Die Balz
Wenn der Körper seinen Liebes-Cocktail braut
Wenn die Hormone ruhiger werden
Vom Verliebtsein zur Liebe
Die Biochemie der Treue
Die Balz
Die Schmetterlinge im Bauch flattern, das Herz schlägt wie wild, der Verstand setzt aus. Es ist wieder einmal geschehen: Amors Pfeil hat mitten ins Ziel getroffen. Für das prickelnde Gefühl des Verliebtseins sind in erster Linie die so genannten Neurotransmitter verantwortlich, kleine chemische Substanzen, die Impulse zwischen den Nervenzellen im Zentralorgan der Liebe, dem Gehirn, übertragen. Auch Hormone spielen eine wichtige Rolle.
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Wenn der Körper seinen Liebes-Cocktail braut
Ob Teenie oder Greis, wohl niemand ist in der Lage, sich den durch das Auf und Ab dieser "Liebesboten" verursachten emotionalen Turbulenzen zu entziehen. Nicht weiter schlimm, denn wer will schon auf das wunderbar aufregende Gefühl des Verliebtseins verzichten, das Johann Wolfgang von Goethe so treffend beschrieb:
Heute ist mir alles herrlich; wenns nur bliebe!
Ich sehe heut durchs Augenglas der Liebe!
Für den vom Dichter geschilderten "Blick durch die rosarote Brille" sind folgende Liebesmoleküle entscheidend verantwortlich:
Adrenalin:
Der Klassiker unter den körpereigenen Aufputschmitteln. Adrenalin wird in Stresssituationen blitzschnell aus den Nebennieren ins Blut ausgeschüttet und versetzt den Körper in sofortige Alarmbereitschaft. Der Kreislauf kommt auf Hochtouren, das Herz schlägt schneller, die Hände werden feucht. Bei Verliebten sorgt Adrenalin für die kribbelige Hochspannung. Der plötzliche Anblick des Geliebten oder auch nur die Aufregung vor einem "Date" löst einen Adrenalinschub aus, zumindest in der Phase des Verliebtseins. Eine weitere Folge: die Aufmerksamkeit richtet sich auf die oder den einen, der Rest der Welt wird unwichtig.
Nach kurzer Zeit flaut die Hormonwelle dann wieder ab. Glücklicherweise, denn der akute Liebesstress frisst jede Menge Energie und wäre als Dauerzustand für den Organismus kaum zu verkraften. Doch regelmäßige kleine Adrenalin-"Kicks" sind gesund: Sie steigern die körpereigenen Abwehrkräfte. Ein guter Grund für eine neue Liebe.
Dopamin:
Dopamin wirkt im Gehirn, der Schaltzentrale für Liebesmoleküle, auf das so genannte Belohnungssystem. Die Aktivierung diese Zentrums bewirkt ein euphorisches, wohliges, zufriedenes Gefühl. Schon der Gedanke an die geliebte Person reicht aus, den Dopaminspiegel zu erhöhen. Mit Dauerwirkung, denn Wissenschaftler haben gezeigt, dass bei Verliebten ständig vermehrt Dopamin durchs Gehirn rauscht. Und mit körperlichen Folgen: Der Neurotransmitter lässt den Appetit schwinden, Schlafen verliert im Liebestaumel an Bedeutung.
Der Begriff Liebesrausch ist übrigens wörtlich zu nehmen, denn einige Drogen, wie beispielsweise Kokain, wirken ebenfalls über eine Erhöhung des Dopaminspiegels. Der Vorteil der Liebe: Eine Überdosis, die zu Halluzinationen führen kann, ist durch eine Portion der oder des Geliebten nicht möglich.
Noradrenalin
Dieser Neurotransmitter macht Verliebte zum Energiebündeln. Noradrenalin steigert den körperlichen Antrieb und hebt die Stimmung. Wenn wir total verrückt nach jemandem sind und unsere Gefühle kaum im Zaume halten können, dann ist dieses Liebesmolekül im Übermaß vorhanden. Außerdem ist der Stoff an der Regulation des Hypothalamus beteiligt, der obersten Hormonzentrale. Es bewirkt dort eine Freisetzung bestimmter Sexualhormone und steigert so die Lust auf Sex. Noradrenalin ist also im Spiel, wenn zwei voneinander nicht genug kriegen können.
Serotonin
Nachgewiesenermaßen der "Botenstoff des Glücks" schlechthin. Sinkt der Serotoninspiegel unter die übliche Menge von etwa 10 Milligramm geht es der Psyche nicht gut. Schlechte Stimmung, Antriebslosigkeit, Schlafstörungen oder im schlimmsten Fall ernsthafte Depressionen sind die Folge.
Auf demselben Weg macht auch die Liebe krank, zumindest nach den Forschungsergebnissen von Donatella Marazitti. Die Wissenschaftlerin ließ 20 frisch verliebte Studenten zur Ader und verglich deren Serotoninspiegel mit denen von Zwangsneurotikern. Letztgenannte quälen ständig zermürbende Angstgefühle, die sie veranlassen, immer wieder bestimmte Handlungen, wie zum Beispiel Händewaschen, zu wiederholen. Resultat: Bei beiden Testgruppen lag der Serotoninspiegel im Schnitt 40 Prozent unter dem Normalwert. Die italienische Psychologin sieht die erstaunlichen Parallelen zwischen Verliebten und Zwangsneurotikern in diesem Serotoninmangel begründet. Denn auch Verliebte beschäftigen sich stundenlang nur mit einer Sache - mit der oder dem Geliebten - und neigen zu irrationalen Handlungen.
Zur Beruhigung sei gesagt: Nach spätestens einem Jahr pendelt sich der Serotoninspiegel wieder ein. Leider geht damit auch das romantisch-verrückte Gefühl flöten.
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Wenn die Hormone ruhiger werden
Jeder Verliebte wünscht sich, der angenehme Sinnestaumel möge ewig anhalten. Diesem Wunsch steht nur leider die Biochemie im Wege. Nach spätestens einem Jahr, meist schon früher, beendet das Gehirn den durch die Liebeshormone verursachten Dauerstress des Verliebtseins. Zum eigenen Schutz.
Die auf Dopamin reagierenden Zellen des Belohnungszentrums gewöhnen sich an die regelmäßige Dosis. Ähnlich wie beim Drogenkonsum lässt die euphorisierende Wirkung nach. Auch der Serotoninspiegel normalisiert sich nach spätestens einem Jahr, die glückliche Verrücktheit der ersten Zeit ist dann nur noch Vergangenheit. Enttäuscht stellen wir fest, dass vieles, was zu Beginn so viel Spaß gemacht hat, zur Routine geworden ist.
Manch einer macht sich dann auf die Suche nach einem neuen "Kick". Denn wie so viele Drogen, die sich auf die Botenstoffe im Gehirn auswirken, kann auch Verliebtheit süchtig machen. Droht das euphorische Gefühl schwächer zu werden, machen sich die Liebessüchtigen auf die Suche nach einem neuen "Aufputschmittel".
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Vom Verliebtsein zur Liebe
Wer die kritische Phase der abebbenden Verliebtheit übersteht, wird mit einem anderen, ebenso schönen Gefühl belohnt: dem Glück der Liebe. Eine entscheidende Rolle in dieser Zeit spielen die so genannten Endorphine. Diese vom Körper produzierten Substanzen, die mit dem Opium verwandt sind, verschaffen uns Wohlbefinden, dämpfen die Angst und sorgen unter Umständen gar für eine leichte Euphorie. Forscher wie die New Yorker Anthropologin Helen Fisher vermuten, dass die zärtliche Fürsorge und Zuneigung eines geliebten Menschen die Endorphinausschüttung anregt. Unter der Regie der Endorphine fährt das Beziehungsschiff von den tosenden Wogen der Verliebtheit in die ruhigeren Fahrwasser der Liebe.
Wer die Liebe kennt, kennt ebenfalls den nicht immer süßen Schmerz des Vermissens. Auch hier haben die Endorphine ihre Finger im Spiel. Die Liebenden werden süchtig nach den täglichen Endorphinschüben. Fehlen diese, machen sich Entzugserscheinungen breit. Die Konsequenzen - Kummer, Niedergeschlagenheit und schlechte Stimmung - machen es so schwer, auf den geliebten Partner zu verzichten. Die Sucht nach dem Liebesmolekül Endorphin ist also schuld daran, dass in der Liebe Glück und Unglück so nahe beisammen liegen.
Diese Erkenntnisse legen allerdings eine unromantische Frage nahe: Bleiben wir nur deshalb lange bei einem Menschen, weil wir uns vor den mit der Trennung verbundenen Entzugserscheinungen fürchten? Auch damit haben sich die Wissenschaftler schon beschäftigt.
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Die Biochemie der Treue
Im Gegensatz zu den meisten anderen Säugetieren, die sich entweder nur zum Sex treffen oder spätestens dann trennen, wenn der Nachwuchs aus dem Gröbsten raus ist, bleiben Menschen oft ein Leben lang zusammen. Und dies nicht nur aus Angst vor dem Endorphinentzug (siehe Liebes-Cocktail des Körpers) sondern weil sie sich mit einer bestimmten Person einfach wohl fühlen. Doch auch bei der Fähigkeit zur langfristigen Bindung kann sich der Mensch dem Einfluss der Hormone nicht entziehen. Die amerikanischen Forscher Sue Carter und Thomas Insel haben sich intensiv damit beschäftigt, was uns zu tendenziell monogamen "Säugetieren" macht.
Von Mäusen...
Berg- und Präriewühlmäuse brachten die Wissenschaftler auf die Spur der Biochemie der Treue. Äußerlich kaum zu unterscheiden, verfolgen die beiden Nager total gegensätzliche Strategien in ihren Liebesbeziehungen. Die Bergbewohner sind freiheitsliebende Hallodris, die den "one-night-stand" bevorzugen. Mäusepärchen aus der Prärie bleiben hingegen oft ein Leben lang Seite an Seite. Das liegt, nach Meinung von Thomas Insel, an den Hormonen Oxytocin und Vasopressin. Von beiden Liebeshormonen hatten die treuen Präriewühler deutlich höhere Spiegel im Blut als ihre leichtlebigen Brüder vom Berg. Auch die Dichte der jeweiligen Rezeptoren im Gehirn war größer. Zum Beweis ihrer Vermutung gaben Insel und Carter den Präriewühlmäusen ein Medikament, das die Wirkung von Oxytocin unterdrückt. So manipuliert, warfen diese ihre monogamen Prinzipien über Bord und machten sich nach der Kopulation sofort aus dem Staub.
Mit Hilfe der Gentechnik lassen sich die Bergwühlmäuse in treu sorgende Väter verwandeln. Nachdem die Wissenschaftler das Gen für den Vasopressinrezeptor verlängert hatten, verteidigten sie ganz gegen ihre alten Angewohnheiten Mutter und Kinder aufopferungsvoll gegen Eindringlinge.
...und Menschen
Beide Hormone kommen auch beim Menschen vor. Ob sich die Erkenntnisse bei den Wühlmäusen so ohne weiteres auf uns übertragen lassen, ist fraglich. Doch eine Rolle in unserem Beziehungsleben spielen sie beide.
Oxytocin steigt im Blut nach einem Orgasmus sprunghaft an. In einem Experiment bekamen Männer einen Oxytocinhemmer und mußten danach im Dienste der Wissenschaft masturbieren. Orgasmusprobleme gab es keine, das entspannende wohlige Gefühl blieb jedoch aus. Auch der Austausch von Zärtlichkeiten steigert - ebenso wie das Stillen - den Spiegel des Treuehormons. Ein Gefühl wohliger Nähe und Vertrautheit macht sich breit. Es könnte also durchaus am Oxytocin liegen, dass selbst der schlimmste Beziehungsärger nach einem "Schäferstündchen" wieder verraucht ist.
Obwohl seine Wirkung auf das menschliche Verhalten noch nicht geklärt ist, scheint Vasopressin an der Fähigkeit, Bindungen zu anderen aufzubauen, zumindest beteiligt zu sein. Ein Beleg sind Untersuchungen bei autistischen Kindern. Diese Kinder entwickeln kaum eine Beziehung oder Kommunikation und vermeiden praktisch jeden körperlichen Kontakt. Wissenschaftler konnten nachweisen, dass ihre Vasopressinspiegel extrem niedrig sind.
Wer jetzt hofft, mit einer kleinen Dosis Vasopressin einen notorisch untreuen Partner in ein Vorbild an Treue zu verwandeln, liegt aber falsch. Denn im Gegensatz zu Wühlmäusen sind wir nicht nur Sklaven unserer Biochemie
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