Zuviel verlangt ist es nicht,
aber nicht jeder Mensch besitzt die Aufmerksamkeit und Sensibilität zu erkennen, daß ein Ende mit Schrecken manchmal besser ist als ein Schrecken ohne Ende.
Ingo ist emotional abhängig von seiner Freundin, so wie andere Menschen drogenabhängig sind. Was die Freundin da mit ihm durchzieht, ist ungefähr so, als würde ich mich mit einem Menschen, von dem ich genau weiß, daß er gerade aus einer Alkoholentziehungskur zurück ist, im Café an einen Tisch setzen und mir bewußt vor seinen Augen einen Cognac zum Espresso dazubestellen oder als würde ich mir in Gegenwart eines Menschen, von dem ich weiß, daß er sich gerade das Rauchen abgewöhnt, bewußt immer wieder eine anzünden.
Rein formal gesehen ist das sicher mein gutes Recht, und ich kann den Kopf in den Sand stecken, die (Mit-)Verantwortung weit von mir weisen und mir einreden, daß es natürlich nicht mein Problem ist, wenn jemand aus solchen Situationen heraus trotzdem zu mir Kontakt hält, statt mich eine Zeitlang zu meiden.
Die Freundin verhält sich egoistisch, soviel steht fest. Genauer: Sie nutzt ihn schamlos als "Egopuscher" aus, wie es bereits von anderen Schreibern hier völlig korrekt festgestellt wurde.
Was Ingo jedoch kapieren sollte, ist dies:
Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern, und deshalb bringt es nichts, sich in den Ärger über das Egopushing seiner Freundin noch weiter reinzusteigern, auch wenn er noch so berechtigt ist.
Es gibt aber Dinge, die kann man ändern, und deshalb sollte er sein (berechtigtes!) Selbstmitleid überwinden und den Kontakt zu seiner Ex abbrechen. Am besten wäre, er würde sie anrufen und sowas sagen in der Richtung wie "Hör zu, ich weiß, wir hatten ausgemacht, daß wir gute Freunde bleiben. Leider habe ich in den letzten Wochen und Monaten festgestellt, daß ich noch zuviel für Dich empfinde, um das so durchzuziehen. Der Kontakt mit Dir tut mir nicht gut, ich kann mich so nicht ent-lieben und frei werden für eine neue Beziehung. Ich bitte Dich daher um Verständnis, wenn dies das voerst letzte Mal ist, daß ich bei Dir anrufe, aber ich bin sicher, daß auch Du nicht möchtest, daß dieser Zustand so lange anhält, bis meine Liebe zu Dir in Haß und Deine Sympathie für mich in Verachtung umschlägt. Sicher siehst Du ein, daß das nicht der Sinn der Übung ist und deshalb bitte ich Dich, mich nicht mehr anzurufen, zu smsen, oder zu mailen... es hat einfach keinen Zweck, sich da noch länger was vorzumachen. Wenn Du wirklich noch etwas für mich übrig hast, dann laß mich jetzt bitte als Freund gehen, so wie ich auch gezwungen war, Dich als Geliebte ziehen zu lassen. Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute und danke Dir für die wunderbare Zeit, die ich mit Dir verbringen durfte. Ciao."
Es wäre weise, wenn Ingo lernen würde, das Unabänderliche vom Änderbaren zu unterscheiden und dazu überginge, aktiv zu werden, statt zu reagieren.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan... aber es ist für ihn der einzige Weg, um voranzukommen mit der Situation und trotz des herben Verlustes seine Würde als Mann zu bewahren.
Almond