Er und ich arbeiten seit ca. 6 Jahren in derselben Firma. Er ist 37, ich 28 Jahre alt. Seit 15 Jahren ist er mit seiner Lebensgefährtin (sie sind nicht verheiratet) zusammen und hat mit ihr eine Tochter (10 Jahre alt). Seit 10 Jahren leben sie gemeinsam in einem Haus, welches er geerbt hat.
Da ich Untreue selber verabscheue und nie etwas mit einem vergebenen Mann (so dachte ich damals zumindest) anfangen würde, fiel er mir nie besonders auf. Und obwohl ich in einer Firma arbeite, in der hauptsächlich Männer tätig sind, habe ich mir immer strikt verboten, mich in einen Arbeitskollegen zu verlieben. Niemals Geschäftliches mit Privatem mischen. Ich liess es nicht zu, dass sich irgendwelche Gefühle in die Richtung entwickeln und blockte alle Anfragen von männlichen Arbeitskollegen sofort ab.
Seit 2 Jahren ist er nun im Kader und seit fast einem Jahr mein direkter Vorgesetzter. Am Anfang konnten meine Kollegen und ich ihn nicht ausstehen, da er oft um 8 Uhr morgens gereizt ins Büro stürmte und laut Vorwürfe machte, wieso denn dieses und jenes noch nicht erledigt sei. Heute weiss ich, dass seine Gereiztheit vor allem am Druck von seinen damaligen Vorgesetzten lag und am Stress zu Hause.
Mir gegenüber verhielt er sich immer ruhig und korrekt, doch da ich meine Arbeitskollegen (die ich alle sehr mag) unter ihm leiden sah, baute auch ich eine Abneigung ihm gegenüber auf.
Seit einem Jahr stellen alle nach und nach eine Veränderung an ihm fest. Er ist viel ruhiger geworden, freundlicher und gelassener. Lacht viel mehr als früher und scherzt mit den Leuten. Das liegt auch daran, dass er neue Vorgesetzte hat, welche weniger Druck auf ihn ausüben.
Oft kommt er an meinen Arbeitsplatz, um sich mit mir zu unterhalten. Über die Arbeit, über Hobbies, über seine Tochter, die er über alles liebt. Er ist ein sehr verantwortungsvoller, fürsorglicher Vater. Da ich das wusste und im Hinterkopf immer Frau und Tochter sah, empfand ich die Gespräche auch nicht als Flirterei. Er war für mich ein Boss, mit dem ich mich einfach nur gut verstand. Leidenschaften, welche wir teilen, ist die Musik und die Natur. So kam es, dass wir uns ab und zu E-Mails schickten und Lieder austauschten und Gedanken zu jedem Lied machten. Auch da dachte ich mir nichts dabei. Es war einfach kollegial und unterhaltsam. Was mir jedoch auffiel, ist dass er mit mir und den anderen nie über seine Lebensgefährtin sprach.
Vor vier Monaten gingen wir an ein Konzert eines Arbeitskollegen, der auftrat. Wir haben uns nach dem Konzert noch auf der Strasse unterhalten. Plötzlich schubste er mich scherzhaft und umarmte mich. Dies kam völlig überraschend. Da ich mich nicht wehrte, küsste er mich dann. Es war Freitag und in dieser Nacht passierte nichts mehr, wir gingen getrennten Weges nach Hause. Ich war total verwirrt.. lebt er noch mit ihr zusammen? Liebt er sie noch? Wieso hat er mich umarmt und geküsst? Er machte auf mich nicht den Eindruck, dass er einer ist, der seine Frau betrügt. Und an dem Abend wurde mir bewusst, dass ich doch unbewusst für ihn Gefühle entwickelt hatte.. ansonsten hätte ich ihn weggeschoben, als er mich umarmte.
Am Montag nach der Arbeit gingen wir auf seinen Wunsch in den Stadtpark, sassen auf eine Bank und unterhielten uns.
Es stellte sich heraus, dass es seit Jahren in ihrer Beziehung kriselt. Seit die Tochter auf die Welt kam, habe sie alles für das Kind getan, aber nichts mehr für die Beziehung. Auch geredet haben die beiden nicht viel. Wenn es Probleme gab, war er derjenige, der reden wollte und sie schob den Deckel auf.
Vor 2 einhalb Jahren hat sie ihr Psychologiestudium (6 Monate vor Abschluss) abgebrochen, da sie unter einer Hautkrankheit leidet und Medikamente nahm, die sich negativ auf die Psyche auswirkten. Eigentlich hatten sie geplant, dass sie beide berufstätig werden usw..doch es kam alles anders.
Er ist derjenige, der Überstunden macht und seine Familie ernähren muss. Sie verbringt den ganzen Tag zu Hause und erhohlt sich.
Er hat ihr vor eineinhalb Jahren bereits gesagt, dass er so nicht weitermachen kann. Er sagte, dass es möglich sei, dass er in wenigen Monaten mit Sack und Pack vor meiner Haustüre steht. Doch ich habe ihm klar gemacht, dass ich das nicht will. Erstens sei dies alles noch viel zu frisch - ich muss einen Mann besser kennen und länger mit ihm zusammen sein, bevor ich mit ihm zusammen ziehen kann. Zweitens lehne ich fremd gehen ab und eine Affäre käme für mich nicht in Frage. Ich will nicht der Grund dafür sein, dass seine Familie zerstört wird. Er erwiderte, dass er sich schon vor Monaten in mich verliebt habe und ich in seinen Augen keine Affäre sei. Er habe schon lange innerlich mit ihr abgeschlossen - könne sich jedoch nicht von ihr trennen, da er sie nicht kaputt machen will. Sie sei dabei, sich von der Krankheit zu erhohlen und sie blühe langsam wieder auf.
Seit 2 Jahren gehen sie sich aus dem Weg. Geredet wird meistens nur sonntags am Esstisch, und auch dort wird häufig gestritten und es fliegen die Fetzen. Er schläft im Wohnzimmer, und sie mit der Tochter im Schlafzimmer im oberen Stock. Wenn sie sich unterhalten, dann hauptsächlich über die Tochter. Sie legen beide Wert auf eine gesunde Erziehung, was ich ja auch sehr gut finde. Doch kann es gesund für ein Kind sein, wenn es sieht wie sich seine Eltern aus dem Weg gehen oder sich andauernd streiten? Vor 2 Wochen sagte er mir, sie streiten sich fast jeden 2. Tag und jedesmal sucht sie ihren Pass und will ausziehen. Er hält sie dann jedes Mal davon ab. Denn wenn jemand ausziehe, dann sei er es.
Wir sehen uns jeden Tag bei der Arbeit und treffen uns jeden Freitag. Meistens bei mir oder irgendwo auswärts, wo uns niemand kennt. Manchmal auch unter der Woche oder am Samstag. Wir reden und essen (und ja, schlafen auch zusammen). Er hat mit ihr ausgemacht, dass er freitags Zeit für sich alleine braucht (das war schon so, bevor das mit ihm und mir begann). Sie besucht dann meistens mit der Tochter ihre Eltern. Weihnachten/Neujahr verbringt er schon seit Jahren alleine, während sie mit Tochter bei ihrer Familie ist. In den Urlaub fährt er nur mit seiner Tochter, seine Lebensgefährtin will nicht mit.
In letzter Zeit ist er wieder sehr müde, ausgelaugt. Er meint, er habe wohl die Midlife Crisis. Ich versuche für ihn da zu sein, obwohl die Situation für mich auch nicht einfach ist und ich im Zwiespalt bin.
Auf der einen Seite die Heimlichtuerei, damit seine Lebensgefährtin nichts erfährt. Auf der anderen Seite das Versteckspiel in der Firma, da auch dort niemand erfahren sollte, dass was zwischen uns läuft (wir beide sehen das so). Es käme mir auch nie in den Sinn, ihr zu schreiben und das Ganze auffliegen zu lassen. Auch wenn wir uns trennen sollten.
Ich weiss nicht, was ich tun soll. Haben wir überhaupt eine Chance? Wird er sich je von ihr trennen? Manchmal schaut er in Zeitungen nach einer Wohnung.. aber auch ich glaube, dass der Zeitpunkt noch nicht reif ist. Doch soll ich wirklich noch 3-4 Jahre auf ihn warten, bis seine Tochter alt genug ist um zu verstehen, dass die Eltern gemeinsam nicht mehr können? Bis sich seine Lebensgefährtin von ihrer Krise erholt hat ? Er hofft, dass er sich eines Tages friedlich von ihr trennen kann. Denn schliesslich haben sie 15 Jahre gemeinsam verbracht, was auch sehr schön sei - und natürlich der Tochter zuliebe.
Ich entschuldige mich, dass der Text so lange geworden ist und danke euch herzlich fürs Lesen. Alleine das Niederschreiben hat mir schon sehr geholfen.
Liebe Grüsse, dumspirospero80