Du übersiehst...
... da etwas, was viele, die konservativ religiös denken, immer übersehen und nicht berücksichtigen. Für die meisten Kinder von Muslimen, die in Deutschland aufwachsen, ist eben das Verhalten, was Du als offenbar konservative Muslimin (ist nicht negativ gemeint, nur um vorzubeugen) für unnormal hältst, so normal wie für die Kinder von deutschen Eltern auch. Nur dass sie eben zwischen den Stühlen sitzen, weil sie wissen, dass ihre Eltern diesen altmodischen Ehrbegriff pflegen. Das hat mit dem, was im Koran steht, nichts zu tun. Es ist einfach engstirnig. Viele dieser Eltern sind nicht bereit, den Gedanken, dass die Kinder und ihre nachfolgenden Generationen deutsch werden, nicht zuzulassen. Die Religion wird dann vorgeschoben, obwohl es in Wahrheit um was anderes geht. Wenn ich nach Australien auswandere und dort Kinder bekomme, dann muss ich damit leben, dass meine Kinder und Kindeskinder Australier sein werden.
Wenn ich Vertrauen in meine Kinder habe und ihnen die Freiheit gebe, die sie zum Leben und Erwachsensein brauchen, dann muss ich keine Angst haben, dass sie sich von mir entfernen. Viele muslimische Eltern klammern sich an ihre Kinder, engen sie mit den althergebrachten Vorstellungen aus ihrem ehemaligen Heimatland ein, das nicht das Heimatland der Kinder ist, machen ihnen das Leben durch dieses strenge "Unter-uns"- und "Wir wollen niemanden aus einem anderen Kulturkreis in der Familie"-Gefühl ein. Diese Eltern (trifft nicht auf alle zu, zum Glück) können nicht verstehen, dass sie gerade dadurch ihre Kinder nicht an sich binden, sondern sie wegtreiben. Wie oben geschehen.
Hätten sie dem jungen Mann eine Chance gegeben, hätten sie zugelassen, ihn kennenzulernen, hätten sie ihn so behandelt, wie er bereit war, auf die Eltern zuzugehen - schließlich wollte er ja um ihre Hand anhalten, damit alles ganz traditionell abläuft, dann wäre es nie zu diesem Drama gekommen. Die Tochter wäre weiterhin ihre Tochter - umso mehr, da sie ihnen vermutlich tausendmal dankbar gewesen wäre dafür, dass sie über ihren Schatten gesprungen wären und einen Mann ihrer Wahl und dazu noch aus einem anderen Land akzeptiert hätten. So haben die Eltern ihre Tochter verloren, müssen sich vermutlich mit einer Anzeige herumschlagen, mit dem Gerede der Leute etc. Alles nur, weil sie der Tochter ihren Willen aufzwingen und ihr nicht die freie Wahl lassen wollten.
Ist das etwa Sinn der Sache? Wohl kaum. Erwachsene Menschen haben verdient, wie erwachsene Menschen behandelt zu werden. Also mit Respekt und Rücksicht auf die Gefühle. Die Tochter war bereit dazu, der Schwiegersohn in spe auch - nur eben die Eltern nicht. Und damit haben sie die ganze Geschichte versaut. Ist das gottgewollt?
Davon ab: Ich kann auch verstehen, dass Du das nicht nachvollziehen kannst. Wie bei den meisten konservativ Gläubigen ist kein Raum für alternative Handlungsmöglichkeiten, das wird in Deiner Argumentation deutlich. Entweder oder. Aber ein Und existiert scheinbar nicht. Gott steckt nicht zwischen den Seiten im Koran oder in der Bibel, er sollte normalerweise in jedermanns Herzen sitzen und lässt weit mehr Möglichkeiten zu, als viele konservativ Gläubige denken.