Ich war gerade frisch von meinem ersten Freund getrennt. Die Beziehung war nicht einfach gewesen, daher bin ich relativ schnell über die Trauerphase hinweg gekommen. Ich fand schnell Ablenkung, indem ich viel mit Freunden unternahm, mich auf die Arbeit konzentrierte und zur Abendschule ging, um dort mein Abitur nebenbei nachzuholen. Und dann lockte natürlich das Internet. Ich chattete hier und dort, eigentlich nur zum Zeitvertreib. Ich hatte nicht wirklich im Sinn gehabt, dort auf Krampf irgendjemanden kennen zu lernen. Schließlich hatte ich in der Vergangenheit schon viele negative Erfahrungen mit Internetbekanntschaften gemacht. Doch, man kann es sich denken, es kam natürlich anders. Ich wurde von jemandem angeschrieben, der mir auf Anhieb sympathisch war. Die Gespräche verliefen ohne große Erwartungen; einfach, locker und frisch. Unterhaltsam wie ich es brauchte. Wir schrieben so eine Weile hin und her und stellten letztendlich fest, dass wir auf dieselbe Abendschule gingen. Für mich war das ein sehr überraschender und witziger Zufall, welcher ihn noch interessanter erscheinen ließ und mich natürlich neugierig machte. Aufgrund meiner schlechten Erfahrungen mit Blind-Dates kam ein Treffen für mich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht in Frage. Das Ganze erstreckte sich über einen Zeitraum von 2-3 Monaten. Täglich, stündlich, minütlich gar schickten wir uns Nachrichten. Natürlich verschlang ich jegliche Informationen von ihm und sah mir die Bilder an, um im Vorteil sein, wenn ich ihm in der Schule begegnete. Ich hatte beabsichtigt keine weiteren Fotos eingestellt, weil die Situation an sich nur eine nette Abwechslung für mich war.
Ich kam nicht drum rum. Eines Tages erblickte ich ihn von Weitem in der Schule auf dem Pausenhof. Ich wusste sofort, dass er es war und war auch von seinem natürlichen Erscheinungsbild positiv überrascht. Das erste kleine Anzeichen von Aufregung und Wärme machte sich in meiner Magengegend breit. Abends berichtete ich ihm gleich davon. Ich sah ihn immer öfter und wurde immer neugieriger. Ich wollte wissen, wer sich hinter dieser Scheinwelt versteckte. Und konnte letztendlich doch zu einem Treffen überredet werden. Hätte ich damals gewusst, welche Ausmaße es für mich hätte, wäre ich wohl meinem Verstand gefolgt.
Nun denn, nach mehreren Anläufen - ich sagte immer wieder ab - verabredeten wir uns nach dem Unterricht. Ich zog es dieses Mal durch, nahm noch eine Freundin mit auf den Schulhof und so sahen wir uns das erste Mal in die Augen. Ein komisches Gefühl, aber keineswegs unangenehm. Meine Freundin ließ uns allein und wir gingen zu zweit, unterhielten uns und verbrachten einen netten Abend in einer Bar. Ich fühlte mich auf Anhieb wohl, wenn ich auch etwas schüchtern war, aber ich bereute die ganze Aktion zu diesem Zeitpunkt keineswegs. Wir saßen, quatschten und tranken, bis die Bar letztendlich dicht machte. Der Gesprächsstoff war noch lange nicht aus, so gingen wir also zu ihm nach Hause, um dort weiterzureden. Wir kochten uns etwas zu essen, quatschten, lagen einfach auf der Couch bis die Sonne aufging. Das schönste Gefühl auf Erden erfüllte mich; ich fühlte mich geborgen. Er nahm meine Hand, hielt sie einfach nur fest, bis der Zeitpunkt kam, an dem ich gehen musste. So schön es auch war - die Arbeit rief. Was daraufhin folgte, war nicht weiter überraschend. Es gab einen Abschiedskuss, für mich ziemlich vertraut, einfühlsam und einfach nur schön. Als er mich dann noch zum Bahnhof brachte und ich fuhr, war ich eigentlich nur glücklich.
Wir trafen uns erneut, er holte mich von der Schule ab, wir gingen zu mir und es war genauso schön wie das erste Mal auch, auch für ihn. Naiv wie ich war schlief ich mit ihm. Wir trafen uns öfter und nach einigen Malen hatte er mich und ließ mich bis heute nicht wieder los. Ich war verliebt, ohne zu wissen, wie bedeutungsvoll alles noch werden würde. Ich steigerte mich hinein - dumm wie ich war - malte mir eine rosa-rote Zukunft aus, ohne dabei den Verstand einzuschalten. So viel Zeit wie möglich wollte ich mit ihm verbringen, ohne dabei zu merken, dass er sich zurückzog. Wir schrieben immer weniger, es kamen kaum Reaktionen von ihm und es machte mir Angst. Ich wollte endlich wissen, woran ich war und lud ihn erneut zu mir nach Hause ein. Kurzfristig sagte er dann zu und schaute vorbei. Ich rang mit den Worten, doch sie wollten einfach nicht über meine Lippen. So schlug ich vor, dass wir draußen spazieren gingen und er willigte ein. Ich versuchte immer wieder einen Ansatz zu finden, wurde dann allerdings durch einen Anruf gestört. Freunde von ihm riefen ihn an und überredeten ihn, dass wir beide zusammen mit ihnen durch die Gegend zogen. Ohne mich zu fragen willigte er ein und wir fuhren - ich mit einer großen Portion Enttäuschung im Bauch - zu ihnen. Wir verbrachten an sich einen ganz witzigen Abend. Es floss viel Alkohol und die Stimmung war insgesamt ziemlich albern. Kein guter Zeitpunkt um zu reden. Irgendwann kamen wir dann am Bahnhof an, alle wollten nach Hause. Und ich wurde kontinuierlich ruhiger. Ich saß auf einer Bank, als er sich neben mich setzte. Was er dann sagte, verblüffte mich nur: "Du hast dich in mich verknallt oder?" Ich antwortete nicht, konnte ich gar nicht. Er hatte mir solch ein Brett vor den Kopf geschleudert, dass es mich nur noch schüttelte. Die nächsten Worte machten es nicht einfacher. "Kann ich leider nicht erwidern. Es war ganz schön mit dir so zu kuscheln, aber mehr ist da leider nicht. Es tut mir Leid." Ich blickte starr zu Boden. Konnte noch immer nicht antworten; wollte es nicht. Ich redete an diesem Abend kein Wort mehr. Wir gingen alle zur U-Bahn und warteten. Zwischendurch umarmte er mich immer wieder. Bekundete, wie Leid es ihm doch täte. Ich reagierte einfach nicht. Die Bahn fuhr ein und wir stiegen ein. Die anderen und auch er scherzten weiterhin, doch ich ignorierte sie. Fühlte mich nun wie auf dem Präsentierteller und wollte nur verschwinden. Ich wurde erlöst, als wir endlich meine Station erreichten. Kommentarlos wollte ich aussteigen. Ihn einfach vergessen, den gesamten Abend und die gesamten letzten Wochen mit ihm streichen. Doch er hielt mich am Arm und schaute mich an. "Werden wir uns wieder sehen?" Ich ließ ihn ohne eine Antwort zurück und stieg aus der Bahn. Ewig hatte ich meine Tränen zurückhalten müssen. Doch als ich zu Hause ankam, wurde ich befreit und konnte endlich weinen bis ich einschlief.
Es kamen Nachrichten mit Entschuldigungen, doch ich reagierte nicht. Wollte einfach meine Ruhe. Bis er mit dem Argument kam, dass er noch was hatte, was mir gehörte. Er hatte leider recht. Ich hatte ihm etwas geborgt, was ich gerne wieder wollte. Schweren Herzens entschloss ich mich also zu einem letzten Treffen und bat ihn zu mir nach Hause. Schnelle Übergabe, und das war's. Mehr wollte ich nicht. Er kam nach der Schule und brachte es vorbei.
... er blieb natürlich. Wieso sollte ich auch etwas gelernt haben? Als er am nächsten Morgen verschwand, fühlte ich mich glücklich und dämlich zugleich. Alle anderen erklärten mich für verrückt, doch es war zu spät. Ich war bereits dumm gewesen und hatte ihm mein Herz zurückgegeben. Und es begann von vorn. Wir sahen uns, verbrachten viele Nächte zusammen, schimpften uns Affäre. Für mich war alles so vertraut wie vorher - mit dem Wissen über seine Gefühle. Während meine stetig wuchsen, schien er einfach nur froh darüber zu sein eine gute Partie für schöne Nächte gefunden zu haben. Eine Marionette, mit der er sich amüsieren konnte. Dumm wie ich war, duldete ich es. Er meldete sich wann er wollte, kreuzte auf wie es ihm passte. Und ich akzeptierte es. Ich akzeptierte es seine Affäre sein, wenn es nicht für mehr reichte. Die unendlich starke Anziehungskraft von ihm verhinderte eine vernünftige Handlung von mir. Und so ging es ewig. Monatelang vergnügten wir uns ohne Rechtfertigung. Ich spielte das Spielchen mit. Hoffte immer wieder, dass es sich vielleicht noch änderte. Insgeheim musste ich mir jedoch eingestehen, dass ich mir selber etwas vormachte. Spaß und Schmerz stiegen gleichermaßen an, von Begegnung zu Begegnung. Es zerstörte mich, deregulierte meine Gefühle. Jeden Abend lag ich verheult im Bett und konnte nicht schlafen. Alles nur, weil ich so unfähig war ihn abzuschießen. Ich suchte mir eine Psychologin, suchte immer wieder nach Ausreden, Ausflüchten, um mir weiterhin eine Schweinwelt aufzubauen. Doch es gibt Momente im Leben eines Menschen, in denen selbst der schwächste erkennt, wenn es zu weit geht. Nach 5 Monaten war ich endlich zu dem Entschluss gekommen ihn endlich abzuschießen. Ich gestand ihm meine Gefühle. Verwirrte ihn, weil ich erzählte, dass es auch für mich nur der Spaß am Sex gewesen wäre. Alles Lüge. Er war überrascht, verstand meine Reaktion jedoch. So trafen wir uns ein letztes Mal, um unseren 'Abschied' zu feiern. Verbrachten noch einmal eine Nacht zusammen. So richtig ernst nehmen konnte er meine Entscheidung nicht. Wusste er doch, wie abhängig ich mittlerweile war. Aber ich ignorierte dies und zog es durch. Nach diesem Abend löschte ich jegliche Kontaktdaten. Ich wollte nichts mehr von ihm hören, schon gar nichts von anderen Frauen. Er schrieb mir noch ein paar Male. Konnte er mich trotz allem gut leiden. Doch irgendwann verschwand auch dieser Kontakt und wir verloren uns. Ich lebte mein Leben. Stürzte mich auf die Arbeit, verbesserte mich wieder in der Schule. Ich fühlte mich befreit. Die Krankheit war endlich abgeklungen und mir ging es gut.
Monate vergingen und ich hatte ihn - wenn auch nie ganz - vergessen. Es veränderte sich viel. Ich lernte neue Leute, auch Männer, kennen. Schlief auch mit einigen von ihnen. Dass es nicht das Selbe war bemerkte ich sofort, stieß diesen Gedanken aber schnell zur Seite. Ich zog zum Ende des Jahres um, wollte das nächste Jahr von vorn beginnen und besser machen. Der Silvesterabend rückte an und ich veranstaltete eine Party in meiner alten Wohnung. Es war alles wunderbar. Wunderbar, bis mein Handy klingelte und ich eine SMS erhielt. Ich schaute auf's Display, unbekannte Nummer mit frohen Wünschen für's neue Jahr. Im ersten Moment war ich verwirrt und wusste nicht, wer es sein sollte. Meine Neugierde trieb mich zu dem dümmsten Fehler in meinem bisherigen Leben, auch wenn es lächerlich klingt. Ich antwortete. Und natürlich, er war es. Wer sonst hätte mir meinen Neuanfang versauen sollen? Es folgte reger SMS-Kontakt. Das Fieber hatte mich wieder infiziert und es erstreckte sich über einige Tage. Ich dachte damals, dass ich über ihn hinweg sei und mir solches Geschreibsel nicht schaden würde. Wir 'befreundeten' uns wieder über das Internet und schrieben auch dort.
Kurz nach meinem Einzug gab es in der Wohnung noch viel zu erledigen und ich kam auf die glorreiche Idee, ihn um Hilfe zu bitten. Seine Chance witternd, nahm er dieses Angebot natürlich an und besuchte mich. Wir unterhielten uns nett, tranken etwas Wein. Alles war ganz harmlos, bis er seinen Kopf auf meinen Schoß legte. Ich wusste nicht, ob es der Alkohol war, aber in meinem Körper machte sich ein Kribbeln breit wie ich es bis heute nicht vergessen konnte. Es kam zum Kuss, zu Annäherungen und schließlich befand ich mich wieder in derselben Welt, welche ich vor einigen Monaten verlassen hatte. Es war einfach nur traurig. Das Theater begann erneut. Er zog mich wieder in seinen Bann, in der neuen Umgebung. Meine Silvester-Vorsätze wurden quasi nach einer Woche gebrochen. Ich belog, betrog mich erneut, wir schimpften uns erneut Affäre, trafen uns hin und wieder für Sex. Und wieder machte ich alles nur mit, um ihn zu sehen. Zwischendurch lernte ich, Abstand zu ihm zu halten und entwickelte sogar Interesse für andere Männer, schlief auch mit diesen, aber es war einfach nie das Selbe. Wir hatten einfach zu viel erlebt.
Text über Text. So ist es bis heute. Er hat mich dazu getrieben, mir selbst untreu zu werden. Mich selbst zu verletzten und das nicht nur seelisch. Die Liebe ist schon lange kein Thema mehr für mich. Weil er sie mir einfach kaputt gemacht hat. Und nun sitze ich erneut vorm PC, ewig nichts mehr von ihm gehört und bin drauf und dran ihn aus meinem Leben zu streichen und ihn zu löschen. Nur ein einziger Klick fehlt bis zum Glück, doch ich kann es einfach nicht.
Entschuldigt diesen ewig langen Beitrag. Doch wenn auch nur eine Person sich durchgerungen hat bis hierher zu lesen, dann war es das und meine Anmeldung wert.
Seid klüger als ich,
eure Revala