Nachfolgende traurige Geschichte kann man im Internet nachlesen unter
http://www.zeit.de/campus/2006/01/leben-sex
Ich sehe mich in dieser Geschichte selbst, nur mit dem Unterschied, dass ich nicht 25 sondern 38 Jahre alt bin. Ich finde es sehr schade und traurig, dass ich nie erleben durfe, was es heißt einen anderen Menschen zu haben.
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Keine Ahnung, wie sich das anfühlt
Von Jonas Bergmann*
Jonas ist Single, obwohl er nie Single geworden ist. Er ist 24 und hatte noch nie eine Freundin. Vielen geht es ähnlich, doch kaum einer redet darüber. Wie es ist, wenn die ersten Freunde heiraten und man selbst noch immer allein ist. Ein Erfahrungsbericht.
Neulich rief mich Jens an. Ich brauch mal deinen Rat, flüsterte er in den Hörer. Ich schwieg kurz. Dann gab ich ihm das Startsignal. Ja, was gibts? Jens legte los. Er hatte Krach mit seiner Freundin: Sie wollte ein sechsmonatiges Praktikum in Kanada machen, er wollte einfach nur mit ihr zusammen sein. Hier, jetzt, heute. Beziehungskonflikte. Sie sagte, ihre Karriere sei ihm egal. Er sagte, sie denke nicht an die gemeinsame Zukunft. Ich hörte zu, geduldig, fasziniert von dem erregten Tonfall, in den sich Jens hineinsteigerte. Als er fertig war, fragte ich ihn mit ruhiger Stimme: Warum erzählst du das ausgerechnet mir? Jens stockte. Jetzt hörte er mir zu: Ich habe keine Ahnung, wie sich Beziehungskrach anfühlt. Ich weiß nicht, was es heißt, mit jemandem sein Leben zu teilen. Ich bin 24 Jahre alt und hatte noch nie eine Freundin.
Es ist ein geräuschloses Phänomen. Kaum ein Mann spricht wirklich offen darüber, wenn er mit 23, 24 oder 25 Jahren noch keine Beziehung gehabt hat. Niemand rechnet sich selbst gerne zu der Gruppe von Singles, die eigentlich nie Singles geworden sind weil sie es schon immer waren. Doch fast jeder kennt einen solchen Fall. Wir leben in einem Land, in dem das Thema Liebe beinahe im Zweiminutentakt auftaucht. Gleichzeitig leben in unserer Mitte unzählige Menschen, für die das Thema Beziehung ein verborgener Wissensschatz ist. Sex spielt da höchstens eine untergeordnete Rolle. Ich hatte noch nie Sex, aber Triebabfuhr an sich ist heute auch kein großes Problem. Einsamkeit dagegen schon.
All das ist meine eigene Erfahrung. Wie die meisten Männer, die mit Mitte zwanzig noch ohne Frau sind, habe ich irgendwann im Teenager-Alter den Anschluss verpasst. Genau in der Zeit, in der die meisten Jungs Kontakt zum anderen Geschlecht aufnahmen. Es ist verdammt schwer, einen solchen Rückstand aufzuholen, wenn er erst mal da ist. Ich habe Erfolg im Studium und im Nebenjob, viele Freunde und sonst auch eine Menge Spaß. Vielleicht bin ich ein wenig unsportlich, unattraktiv fühle ich mich deswegen nicht. Trotzdem: Zuerst ging mir die Lockerheit verloren. Dann das Selbstvertrauen.
Mit der Zeit versäumte ich es, das ganz grundlegende Know-how zu sammeln. Wie spricht man eine Frau eigentlich an? Was muss man machen, um sie für sich zu gewinnen? Frauenerfahrene Männer nennen es den Killer-Instinkt im entscheidenden Moment die richtigen Worte, Gesten, Blicke parat zu haben. Und genau das fehlt uns unerfahrenen Männern völlig. Für viele ist das Erobern ein Spiel. Mir scheint es wie eine Fremdsprache, die ich nie gelernt habe. Es kann sogar passieren, dass ich merke, wie mir eine Frau Avancen macht. Ich kann nur nicht angemessen darauf reagieren. Es ist so, als ob ich plötzlich Albanisch reden sollte. Es klappt einfach nicht. Keine Chance.
Ich war einige Male wirklich verliebt. Aber: Von meinen Angebeteten habe ich durchweg nur Körbe bekommen. Von der Schulhofschönheit in der achten Klasse. Von dem Mädchen aus der Abi-Lerngruppe. Von der Bekannten meines besten Freundes. Von der Partygrazie aus dem Uni-Club, und so weiter. Wer schon ein gutes halbes Dutzend deftige Enttäuschungen erlebt hat, der verfügt über ein feines Gespür dafür, wenn es schon wieder schief zu gehen droht. Es ist hart, aber die eigenen Gefühle scheinen irgendwann von den Frauen immer als Problem behandelt zu werden. Ich habe angefangen, mich davor zu schützen.
Zum Beispiel bei Lisa. Ich traf sie im ersten Semester bei einer Fachschaftsparty. Sie war mir sofort aufgefallen: ein bedingungslos positiver Mensch, lieb, hilfsbereit, verständnisvoll. An jenem Abend diskutierte sie mit einem besonders rechthaberischen Kommilitonen über Politik. Er hatte von Anfang an verloren. Lisa sah ihn mit ihren großen, braunen Augen an, suchte nach einem Kompromiss. Während ihre Stimme vorsichtig nach Worten tastete, fingen ihre Wangen vor Anstrengung an, rot zu leuchten. Am Ende musste er zustimmen. Ich saß daneben. Im Grunde war ich sofort verliebt. Doch irgendetwas hat mich von Anfang an zweifeln lassen, dass sie sich für mich interessieren könnte. Ich hab es trotzdem versucht. Hab mich mit ihr verabredet, ein paar nette Stunden verbracht. Lisa blieb dennoch ein wenig auf Distanz, redete nur über unsinnige Themen wie Klausuren oder den nächsten Einkauf. Im ersten Moment war ich ziemlich frustriert. Eigentlich war sie alles, was ich in diesen Wochen wollte.
So liebte ich sie fortan heimlich. Wenn ich sie sah, bekam ich noch immer weiche Knie. Ich verabredete mich ab und zu mit ihr. Manchmal kochte sie für mich, manchmal gingen wir aus. Und natürlich traute ich mich nicht, ihr etwas zu sagen. Es wäre auch völlig sinnlos gewesen. Bei unseren Treffen spürte ich den Zauber des Unausgesprochenen: eine seltsame Mischung aus Traurigkeit und tiefer Liebe. Bis zum siebten Semester.
Vor einem Jahr ist sie dann weggezogen, wollte ihre Magisterarbeit in einer anderen Stadt schreiben. Seitdem habe ich sie nie wieder gesehen. Ich habe gehört, dass sie bald heiraten will.
Es gibt viele Männer da draußen, die ein Problem damit haben, Frauen anzusprechen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir empfindsam sind, viel Respekt vor den Gefühlen anderer haben, und noch mehr als das: Angst vor den eigenen Gefühlen. Wer tiefe Empfindungen entwickelt, dem fällt es schwer, sich für die immergleichen Jagd- und Balzspielchen locker zu machen. Sie scheinen der schieren Übermacht der eigenen Gefühle unangemessen. Zu banal.
Vielleicht ist es ja auch nur die blanke Feststellung, dass die Welt um uns herum nach und nach zur Perfektion zu reifen scheint. Noch nie war es für halbbegabte Stadtrandschönheiten so einfach, Superstar zu werden. Es ist eine Frage der Inszenierung, des Sich-selbst-Darstellens. Wer damit nicht klarkommt, hat ein Problem. Nicht nur, dass unser Leben dadurch langweiliger geworden ist. Die Wahrheit ist doch: Zur gleichen Zeit haben es jene Leute am schwersten, die eben nicht an Selbstüberschätzung leiden.
Es hat sicherlich etwas damit zu tun, dass es einen Unterschied zwischen geistiger und körperlicher Reife gibt. Während die Hormone schon bei 14-Jährigen verrückt spielen, ist der Umgang mit äußersten Gefühlswallungen ein langer Lernprozess. Manchmal denke ich: Wirklich erwachsen ist man erst, wenn man sich in solchen Situationen unter Kontrolle halten kann. Wenn man beim Anblick einer wunderbaren Frau keine weichen Knie bekommt und nicht anfängt, Unsinn zu labern. Das kann dauern. Wer damit als Mann nicht zurechtkommt, muss zusehen, wie die Risikofreudigeren zum Zug kommen, Traum um Traum, Frau für Frau. Irgendwann war ich Mitte zwanzig und stellte verängstigt fest, dass die ersten Abi-Kollegen heirateten. Die erste Runde ist vorbei.
Auch bei uns Männern tickt die Uhr. Das wollen freilich nur die wenigsten wahrhaben. Es kann jeden treffen, wie ein Unfall, auch solche Männer, die im Leben sonst erfolgreich sind. Es hängt oft nur davon ab, ob man früh eine tiefe Enttäuschung erlebt hat. Vielleicht ist es ein Stück des Erwachsenwerdens oder auch ein Stück gelebte Desillusionierung. Wie ein langsames Aufwachen, das einen über die Jahre begleitet. Die ideale Beziehung, ein Traum. Nach einiger Zeit stellt man fest, dass die Welt manchmal nicht für das Träumen ausgelegt ist. Das ist der Haken daran. Es kann zu spät sein, ohne dass man es überhaupt gemerkt hätte.
Neulich habe ich wieder eine tolle Frau kennen gelernt. Sie war lustig, intelligent und wunderschön. Ihre Augen leuchteten ständig, und sie konnte so hinreißend lieb lachen, dass alle anderen mitlachen mussten. Ich redete ein wenig mit ihr und schaffte es gerade noch, nach ihrem Namen zu fragen, dann war sie auch schon weg. Ein paar Tage später habe ich sie zufällig in der Stadt getroffen. An ihrer Seite klebte einer von diesen großen, blonden Spaßvogeltypen, die locker sind und ständig Witze machen können. Ich beneide diese Männer. Wir stiegen in dieselbe Straßenbahn, und sie lud mich ein, doch mit in einen Club zu kommen. Von da an nutzte ich jede Minute, in denen der Spaßvogel nicht zu seinen schlecht getarnten Fummelattacken ansetzte. Woher kommst du? Was studierst du? Meine Fragen kamen hölzern, aus meinem Mund quollen nur Langweilersätze. Nichts, was einen besonderen Moment hätte schaffen können.
Als wir auf der Party ankamen, ging der große Blonde gleich in die Offensive. Er zappelte wie ein Duracell-Hase auf der Tanzfläche, sie zappelte zurück. Dabei schauten sich die beiden tief in die Augen. Ich sah mir das Elend aus sicherer Distanz von einem Sessel aus an und trank in einer halben Stunde drei Flaschen Bier leer. Schließlich hatte ich genug und wollte gehen. Der Spaßvogel war gerade auf der Toilette. Meine Traumfrau stand da, ausnahmsweise allein, sie hatte ein leeres Longdrinkglas in der Hand. Du willst schon gehen?, fragte sie mich mit glasigen Augen und einer Spur alkoholisch-dramatischer Enttäuschung in der Stimme. Ich bat sie um ihre E-Mail-Adresse und bekam sie auch. Dann nahm sie mich in den Arm. Sie drückte mich fest an sich, ich vergrub meine Nase in ihrer Schulter. Sie roch so unheimlich schön nach Mädchen. Ich habe diese Sekunden wie wahnsinnig aufgesogen und genossen. Schließlich löste sie die Umarmung und ging zurück zu ihrem Begleiter, der schon unruhig auf sie wartete. Dabei schenkte sie mir noch ein Lächeln.
Am nächsten Tag schrieb ich ihr. Dass es schön war, sie getroffen zu haben. Dass ich mich freuen würde, sie noch einmal zu sehen. Jetzt, zehn Stunden später, hat sie mir geantwortet. Sie habe schon vollkommen vergessen, jemandem gestern Abend ihre Adresse gegeben zu haben. Viele Grüße noch. Ich klappe meinen Laptop zu und bin wieder allein. Vielleicht gehe ich jetzt raus und laufe ein wenig ziellos durch die Gegend. Genau das ist meine Geschichte.