Den 23. März 2010 werde ich in meinem Leben wohl nie mehr vergessen. Es war einige Tage her, nachdem ich eine doofe Kontaktanzeige in ein Internetforum gesetzt hatte. Eine Wette, wer als erstes zehn Interessenten haben würde, würde gewinnen.
Aus Spaß sagte ich zu, was sollte mir auch schon passieren? Also schrieb ich voller Freude einen kleinen Text und wartete auf die männlichen Wesen, die sich hoffentlich melden würden. Taten sie auch und zwar gerade so viele, dass ich gewann.
Einige Nachrichten löschte ich sofort wieder aufgrund des Alters, anderen gab ich meine ICQ-Nummer.
Nach ein paar Tagen war ich schließlich ein wenig enttäuscht von meiner Ausbeute, verstand ich mich doch mit keinem so wirklich gut. Mit vielen war ich einfach von Anfang an nicht auf einer Wellenlänge, sie redeten pausenlos nur über sich selbst und wenn sie mich etwas fragten, dann war das die Frage nach einem Bild von mir oder meiner Körbchengröße.
Doch dann kam der 23. März und wenn ich heute, fast sieben Monate später an diesen Tag zurückdachte, konnte ich mit Ehrlichkeit in den Augen sagen, dass dieser Tag mein Leben ein Stück weit veränderte.
Ein Kerl, 21 Jahre, aus NRW schrieb mich über ICQ an, ich glaube es war der letzte, dem ich meine ICQ Nummer gegeben hatte.
Ich konnte mich schon an die ganzen Namen nicht mehr erinnern, doch seinen wusste ich bis heute ganz genau und nach einer Zeit begann sich dieser Name mehr und mehr in mein Gehirn einzubrennen, bis es kaum mehr möglich war, nicht an sein Gesicht und seinen Namen zu denken.
Wir schrieben also drauf los. Es waren Alltagsfragen, er erzählte ein bisschen von sich, ich ein bisschen von mir.
Er erzählte, dass er eigentlich eher der Ruhige sei und überließ mir die Fragen und die Führung des Gesprächsund das ist auch bis heute so geblieben. Wir schrieben am Anfang nur selten, es gab kaum Zeiten an denen wir beide online waren.
Am Anfang verband uns nur die gemeinsame Liebe zum Fußball und die Suche nach netten Gesprächen, ich beneidete ihn um seine 21 Jahre, er sagte mir ich solle froh sein noch 17 zu sein.
Doch dann kam ein Abend an dem wir lange online waren, wir schrieben nachdem ich abends vom Arbeiten nach Hause gekommen war, bis kurz nach Mitternacht und ich fühlte an diesem Abend zum ersten Mal, dass er so einer war, mit dem ich auf einer Wellenlänge lag.
Wir redeten über normale Dinge und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich immer über etwas Besonderes reden würde, wahrscheinlich lag dies daran, dass er so ein besonderer Mensch war.
An diesem Abend ging ich also mit einem besonderen Gefühl im Bauch ins Bett.
In den darauf folgenden Wochen schrieben wir häufiger. Ich merkte, wann er in ICQ online war und wann nicht, wann er arbeiten musste und wann nicht. Ich passte mein Leben daran an, vielleicht war ich sogar süchtig danach mit ihm zu schreiben, vielleicht bin ich es auch jetzt noch und doch habe und hatte ich keine Ahnung, ob es ihm jemals genauso ging und ob es ihm heute so geht.
Das erste was ich tat wenn ich nach Hause kam: Ich schaltete meinen PC an. Das Zweite: Ich ging in ICQ online. War er on, verdoppelte sich mein Herzschlag, war er nicht online, hoffte und wartete ich darauf, dass er online kam.
Und doch gab es eine Sache, die mich immer wunderte. Er blieb, mit Ausnahmen, abends nie länger als 18 Uhr online. Fragte ich ihn was er vorhatte, erzählte er mir, dass er es noch nicht wüsste, dass tut er heute immer noch.
Und dann ging er off und kam am nächsten Tag wieder. So ging das Spiel die ersten Wochen lang.
Doch dann schlug mir die Realität mit voller Wucht ins Gesicht. Wir addeten uns bei einem sozialen Netzwerk und auf einmal wurde mir alles bewusst.
Beziehungsstatus: vergeben.
Klarheit kam ins Bild und mich traf diese Sache tiefer und fester, als das ich jemals gedacht hatte.
Eigentlich kannte ich ihn ja gar nicht und eigentlich war ich immer der Meinung gewesen, dass man sich niemals über das Internet verlieben könnte bzw. anfangen könnte zu schwärmen.
Doch warum standen mir damals diese scheiß Tränen in den Augen?
Ich sagte nichts zu ihm, stöberte weiter, entdeckte Fotos von den beiden, die mir beinah das Herz zerrissen.
Oft war ich kurz davor ihn darauf anzusprechen, einfach gar nicht mit ihm zu reden, weil ich mir damit nur selbst wehtat.
Ich wusste es und doch schrieb ich immer weiter mit ihm.
Wir tauschten Handynummern, hielten SMS-Kontakt.
Dann fuhr er eine Woche in den Urlaub. Mittlerweile kannten wir uns drei Monate. Ich erzählte offen darüber, dass ich ihn vermissen würde, dass ich ihn lieb hatte.
Er ging darauf ein, wünschte sich mich mal in den Arm zu nehmen und versprach mir eine Postkarte.
Jeden Tag schrieb ich ihm eine Mail, was ich an diesem Tag erlebt hatte und auch die überteuerten SMS ins Ausland hielten uns nicht davon ab zu schreiben.
Jeden Abend wünschten wir uns eine gute Nacht. Er nannte mich Süße, erzählte mir, dass er von mir träumen würde und ich, zu Hause in Deutschland, konnte nichts weiter tun, als mir immer wieder seine SMS durchzulesen.
Während seinem Urlaub und meinen Sommerferien schafften wir es acht Stunden am Stück zu reden und unsere Gespräche wurden von mal zu mal intimer. Wir schickten uns Fotos, mit dem Vorwand nur die neue Sonnenbrille oder etwas Anderes zeigen zu wollen, dabei ging es lediglich um die Person selbst auf dem Foto.
Ich zog mir seine Bilder auf mein Handy, um das Gefühl zu haben ihn immer bei mir zu haben.
Ich war glücklich während der Zeit in der ich mit ihm schrieb, sobald er off ging, überlegte ich was er nun tun würde.
Würde er zu seiner Freundin fahren und sie einmal ordentlich druchvögeln, weil ich ihn im Internet schon so geil gemacht hatte, dass er sich einen runter holen musste?
Dachte ich über so was nach, packten mich die Wut und die Traurigkeit. Ich ärgerte mich über meine eigene Dummheit und doch, wenn er am nächsten Tag wieder online kam, war mein Ärger verflogen, glücklich darüber mit ihm schreiben zu können.
Es war wir das Streben nach Glück, dass ich niemals so ganz zu erreichen schien
Wir redeten offen über Sex, jedoch in der dritten Person. Man hätte, könnte, wöllte.
Doch irgendwann hieß es nicht mehr Man hätte, könnte, wöllte, irgendwann hieß es Wenn du mir die Augen verbinden würdest, dann würde ich mir alles an deinem Körper ertasten, würde sanft mit meinen Lippen dich da küssen, wo du es gern hast.
Seine Worte brachten mich fast um den Verstand, er schaffte es mit Worten mich geil zu machen, ohne mich auch nur ein Mal gesehen zu haben, oder am Telefon gehört zu haben.
In diesen Momenten fragte ich mich nicht, was jemals seine Freundin dazu sagen würde, die er mit keinem einzigen Wort gegenüber mir erwähnt hatte, doch wenn er offline war, fragte ich mich, was er jetzt wohl tat.
Tat er nun das mit seiner Freundin, was er mir eben erzählt hatte?
Doch ich redete mir die fiesen Gedanken aus, er war schließlich alt genug und deswegen zuckte ich auch nicht davor zurück ihm freizügige Fotos von mir zu schicken.
Denn sein Foto oben ohne brachte mich und mein Herz fast um.
Ich merkte, dass da nicht nur Freundschaft war, aber ich versuchte es zu verdrängen, mich an den Gedanken zu klammern, dass ich ihn eigentlich gar nicht wirklich kannte.
So war es und so ist es bis heute, nach sieben Monaten, immer noch geblieben.
Manchmal habe ich das Gefühl er nutzt mich aus, redet dann wann er will mit mir, manchmal hält er nicht für nötig mir anständig Tschüss zu sagen, schreibt mir einfach nicht zurück.
Wir reden dann, wenn er darauf Lust hat, geht es allerdings um Fotos von mir, wo ich nichts anhabe, ist er immer dabei.
Und wenn du das hier liest, dann merk dir: Nur weil du mich noch nie in deinem Leben gesehen hast und mich nur über das Internet kennst, ich hab Gefühle und die kannst du in letzter Zeit am meisten verletzen